Anders, und keinesfalls artig

Anders, und keinesfalls artig

Die Abkehr vom Mainstream ist das Kernthema von Tele 5. Das Credo der Macher lautet: Sichtbar anders sein als die anderen TV-Kanäle. So ist sukzessive eine Plattform für Markenwerbung im Fernsehen entstanden, die sich durch innovatives Ideenmanagement weiter entwickelt und auch die Potenziale im Social Web erkennt.

Wer wirken will, muss anders denken. Was zunächst wie das Zitat eines altgriechischen Philosophen klingt, ist in Wirklichkeit eine Maxime von Tele 5-Senderchef Kai Blasberg. Sein „Anders sein“ kultiviert der in München beheimatete TV-Kanal seit Jahren mit steigendem Erfolg. Aus dem einstigen Spartensender ist eine von Spielfilmen, Eigenproduktionen und mutigem Ideenmanagement gespeiste Fernsehmarke geworden (siehe Interview).
Den Programm-Machern an der Isar war irgendwann klar: Die Zeit verlangt nach neuen Denkmodellen abseits des Mainstreams. Denn: Zwischen Do-it-yourself- Konzepten wie Maxdome, Watchever und Netflix nimmt sich lineares TV nach altem Muster heute oft wie ein Dinosaurier aus. Die Fragmentierung des TVMarktes, wie wir ihn kannten, ist in vollem Gange. Dagegenhalten funktioniert nur mit austarierten, innovativen Konzepten.
Straff organisiert, unabhängig geführt, wendig im Prozess, mutig in der Programmgestaltung, zuweilen auch provokant – der kleine Sender hat den Großen den Kampf angesagt. Und will dabei einen gewichtigen strategischen Vorteil ausspielen: Anders als bei anderen Sendern des sogenannten „dritten Fernsehmarktes“ steht bei Tele 5 kein Konzern im Hintergrund. Die Programm-Macher sind frei in ihren Entscheidungen, kaufen, was ihnen gefällt und dem Markenbild gerecht wird.
Während andere Sender der dritten Generation auf die gängige Hollywood-Ware der Mutterkonzerne bauen, zeigt Tele 5 neben klassischem Programm auch Filme, die es dort nicht gibt: Erstausstrahlungen und Free-TV-Premieren von Filmen, die in anderen Ländern Maßstäbe setzen, bei anderen Sendern aber außen vorbleiben, weil sie als wenig massenkompatibel gelten. „Der Lizenzmarkt wird von uns dezentral gesichtet, nicht dort, wo alle sind“ erläutert Senderchef Blasberg. „Mit diesen ,anderen‘ Inhalten grenzen wir uns ab und schaffen Wahrnehmung.“
Fakt ist: Immer mehr Anbieter konkurrieren immer härter um die allseits begehrten Hollywood-Produktionen, die für die breite Masse passen. Markenbilder verwässern, denn mancher Film läuft heute hier, morgen dort – oft wandern Serien und Spielfilme sogar innerhalb der Sendergruppen hin und her. Genau diesem Einerlei will sich Blasberg entgegenstellen: Was aussieht, wie bei den anderen, kommt nicht ins Programm. Ob alt oder neu – Abgrenzung ist Gesetz.
Im Gegensatz zu den Spartensendern verfolgt man bei Tele 5 eine ganz andere Strategie – nämlich eine möglichst breite Zielgruppenansprache. Die Programmvielfalt, bei Eigenproduktionen wie bei der Fiction, erreicht je nach Tageszeit und Wochentag sehr unterschiedliche Zuschauer. Die Programmfarben variieren von klassischen Filmgenres wie Action oder Drama bis zu Satire und Comedy. Selbst Sport oder Musik sind in Sendungen wie der WM-Satire Höggschde Konzentration oder On Stage und Playlist – Sound of my Life gespiegelt.
„Anders ist besser“, der neue Leitspruch des Senders, hat seine Initial-Zündung bei den Tele 5- Eigenproduktionen. Mit dem Grimme-Preis für die kleine, aber ebenso intelligente wie unterhaltsame TV-Satire Walulis sieht fern rückten die Münchner 2012 verstärkt in die Wahrnehmung und vollzogen einen Paradigmenwechsel vom „Abspielkanal“ zum mutigen Innovator – selbst die ARD berichtete in der Tagesschau. Die Branche staunte: Niemand hatte Tele 5 auf der Liste für preisverdächtige Programminhalte.
„Für uns war das eine Erweckung“, sagt Kai Blasberg: „Es geht, wenn man nur macht, was man gut findet.“ Gleich drei Grimme-Preis-Nominierungen gab es in diesem Jahr: Für Nichtgedanken mit Oliver Kalkofe, für Playlist – Sound of my Life und – hier ist offenkundig, dass man den Sender mit Respekt betrachtet – für den Senderchef selbst, genauer gesagt für seine „mutige Programmgestaltung“. Aus diesen Erfahrungen heraus entwickelte sich sukzessive das Prinzip, Dinge „anders“ zu machen bis hin zum neuen Claim „anders ist besser“. Fünf Grimme-Nominierungen in drei Jahren – mehr hat kein anderer Privatsender bislang geschafft.
Zurück im Fokus, könnte man sagen: Allein im ersten Halbjahr 2014 stieg die mediale Wahrnehmung von Tele 5 um 150 Prozent (Quelle: Landau Media, Printund Online-Berichterstattung). Die Reihe Die schlechtesten Filme aller Zeiten war ein wichtiger Impuls in dieser Richtung, der Branche und Feuilleton aufhorchen ließ. Zuerst mit Unglauben quittiert, dann mit Respekt betrachtet, denn vermeintlich „schlechte Filme“ genießen in eingefleischten Film-Communities Kultstatus und extrem hohe Awareness.
Hier sind nicht nur die Zuschauerzahlen stark, sondern auch die filmbegleitende Debatte im Social Web ist äußerst lebhaft. Bei Twitter und Couchfunk besetzt die SchleFaZ-Reihe regelmäßig Spitzenpositionen. Doch der Clou ist nicht, sie einfach zu zeigen. Ihren besonderen Stellenwert bekommt die Serie erst durch die Kommentare von Peter Rütten und Oliver Kalkofe. Beide ausgewiesene Kenner der Materie und begnadete Satiriker, wenn es darum geht, die Schwachstellen im Film pointiert zu begleiten. Längst werden die Filme auch in Kinos oder im Berliner Gernsehclub vor großem Publikum als kleines TV-Event gezeigt.
Das Involvement ist enorm, die Berichterstattung zur SchleFaZ-Reihe ist überproportional hoch. „Zukunft heißt für uns gerade im Hinblick auf die Trends im Internet, auch Communities und Peergroups anzusprechen und an den Sender zu binden“, sagt Blasberg. „Diese gehen dem Fernsehen sonst verloren.“
Und so scheint Tele 5 ein veritabler Kunstgriff zu gelingen: Die Marke entsteht immer wieder aufs Neue aus sich selbst heraus. „Anders sein heißt anders denken, anders sehen und anders handeln“, weiß der Senderchef. „Alle Mitarbeiter im Sender sind Teil dieses Prozesses und gestalten ihn direkt oder indirekt mit. Programmideen kommen aus dem offenen Ideenpool.“ Programmkonzepte von neuen Anbietern werden sehr aktiv aufgenommen. Übernahmen sind nicht von Einzelentscheidungen bestimmt, sondern berücksichtigen stets das „Bauchgefühl“ der Tele 5-Familie. Und über jeder Entscheidung schwebt stets die Frage aller Fragen: „Ist es anders?“

Zeitgemässe Technologie

Tele 5-Chef Kai Blasberg stemmt sich gegen die Macht des Mainstreams, gegen öde TV-Kost und Konzepte von der Stange. Marke41 sprach mit dem letzten Rebell des Privatfernsehens über die Zukunft seines Senders.

Herr Blasberg, Tele 5 will „anders besser“ sein als das Gros der deutschen TV-Kanäle. Wie setzen Sie das um?
Vor zwei Jahren hatten wir das Sendermotto „leider geil“, heute konkretisiert „anders ist besser“ dies. Das ist auch unser Credo. Wir wollen im Rahmen unserer Möglichkeiten auffallen und eine Alternative sein – sowohl für die Zuschauer, als auch für Werbekunden und Berichterstatter. Wir haben drei Währungen: den Euro, die Werbeinselreichweite und die Wahrnehmung. Wenn ein Sender den Mut hat, „Die schlechtesten Filme aller Zeiten“ so zu zeigen, wie wir es tun, dann wird er wahrgenommen – aber vielleicht nicht unbedingt verstanden. Wer den Mainstream verlässt, wird nicht von allen verstanden

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Ist das nicht gefährlich, „nicht verstanden“ zu werden?
Wir leben in einer Welt, in der einem schnell ein Stempel aufgedrückt wird. Das passt aber nicht zu uns, wir sind 360 Grad, wir sind überall. Wir zeigen an Silvester Opernaufführungen, wir strahlen am Donnerstagabend WWE Wrestling aus. Das sind Welten, die nicht zusammenpassen, deshalb machen wir es. Wir sind ein Tante-Emma-Laden de Luxe.

Neben schrillen Eigenproduktionen programmieren Sie unter dem Slogan „andersARTig“ einmal wöchentlich zwei Spielfilme hintereinander. Wollen Sie wieder Kino-Feeling bei den Zuschauern wecken? Kino war ja schon früher ein Asset, mit dem der Sender punkten konnte.
Das Kino-Feeling ist doch bei uns immer ein Thema. Wir haben als einziger Sender in Deutschland sogar drei Spielfilm-Label. „Wir lieben Kino“ steht für den großen Blockbuster, „Die schlechtesten Filme aller Zeiten“ – aus Liebe zum Film kreiert – ist bei den Zuschauern groß eingeschlagen. Unser neuestes Baby ist nun „andersARTig“: Weil wir mit der Tele München Gruppe (TMG) einen Gesellschafter haben, der eine große Neigung zum Thema hat, und weil es zum anderen einen schlanken Fuß in der Öffentlichkeit macht. Und nicht zuletzt, weil es funktioniert.

Sie kokettieren also absichtlich mit der Rolle des „Outlaw“?
Ja, weil Mainstream massenhaft vorhanden ist und immer mehr Sender gegründet werden, die uns nachgebaut sind. Wir müssen ausweichen. Geraten wir in die Flutwelle der Konzerne, sind wir tot.

Sie sind jetzt fast zehn Jahre bei Tele 5, haben im Marketing und Verkauf begonnen. Inzwischen sind Sie Senderchef und können für sich verbuchen, dass man Sie selbst als Marke wahrnimmt. Kleine Zwischenbilanz? Als ich kam, war aus Tele 5 gerade ein Spielfilmsender geworden. Gleichzeitig wurde mit dem „Vierten“ praktisch der gleiche Sender noch einmal gegründet. Das sprach ja schon mal für das Geschäftsmodell. Die ersten Jahre waren geprägt vom Aufbau einer Vermarktung, anschließend ging es um den Aufbau des Programms. Anfangs hatten wir nachmittags Call-in-TV, die Programmversorgung kam komplett über die TMG. Heute sind das vielleicht noch 20 Prozent, der Großteil wird extern im Markt gekauft. Seit 2009/10 haben wir ein fertiges Programm, an dem wir regelmäßig feilen. 2013 ist der Umsatz zweistellig gewachsen, dieses Jahr werden wir das Vorjahresergebnis in einem extrem fragmentierten Markt halten. Klar, im Zuschauermarkt spüren wir natürlich die Verdrängung durch die großen Konzerne. Aber wir haben uns wacker geschlagen, das geht nur mit einem guten, implementierten Ideen- management.