Know-how im Vertrieb teilen

Know-how im Vertrieb teilen

„Wenn ABB wüsste, was ABB weiß. Dann wäre das Unternehmen unschlagbar.“ Diese Aussage trafen wir so bereits vor Jahren an. Inzwischen wird sie für viele Unternehmen wiederholt. Offensichtlich gibt es besonders in größeren Unternehmen viel wertvolles Know-how. Nur lässt es sich nicht genügend nutzen. Dieser kurze Beitrag analysiert die Herausforderungen und schlägt einige Lösungen für den Vertrieb vor.

Unternehmen, deren Vertriebseinheiten sowie jeder einzelne Verkäufer könnten immens profitieren, wenn sie ihre Erfahrungen und ihr Wissen intensiv austauschen würden. So bezifferte Jörgen Centermann, der ehemalige CEO von ABB, das mangels interner Kommunikation ungenutzte Cross-Selling-Potenzial bei Key Accounts auf fast 60 Prozent des tatsächlichen Umsatzes (St.Galler Tagblatt 2001). Leider funktioniert der dafür notwendige Know-how-Austausch in vielen Unternehmen aus folgenden Gründen nur ungenügend:

1. Vielfalt
Jede Erfahrung entsteht in eigenen Konstellationen. Best Practices sind länder-, branchen- und kundenspezifisch und hängen stark von den angebotenen Leistungen, persönlichen Beziehungen und den involvierten Mitarbeitenden ab. Derartige Erfolge lassen sich deshalb schwierig auf andere Situationen übertragen und multiplizieren.

2. Interne Konkurrenz
Internationale Vertriebseinheiten und Verkäufer konkurrenzieren sich gegenseitig. Jeder will besser sein. Jeder versucht, Erfolge an sich zu reißen. Individuelles Knowhow und Tacit Knowledge stärken darüber hinaus die Position des Einzelnen. Wer sein Wissen teilt, kann sich der daraus resultierenden (negativen) Wirkung nicht sicher sein. Dieser Wettbewerb wird durch Führung und Provisionssysteme noch weiter verstärkt.

Gemeinsame Ziele und Erfolge sind eine wichtige Voraussetzung, um einen kontraproduktiven Wettbewerb im Unternehmen einzuschränken.

3. Verordnete Hilfsbereitschaft
Es ist ein grundsätzliches Bedürfnis, anderen Menschen im Unternehmen zu helfen. Nur ist diese Hilfe oft selektiv und auf bekannte und wichtige Mitarbeitende ausgerichtet. Motor ist dabei auch, was sich einzelne Mitarbeitende gegenseitig nehmen oder geben. Eine verordnete Hilfsbereitschaft widerspricht dem informellen internen Austausch und der persönlichen Beziehungspflege.

4. Einseitige Best Practices
Viele Unternehmen versuchen, ihre Best Practices in der Gesamtorganisation transparent zu machen. Oft werden dabei besonders große Erfolge mit Kunden erfasst. Diese Erfolgsgeschichten werden mehrfach der Geschäftsleitung oder auf der jährlichen Vertriebstagung präsentiert und bleiben deshalb in ihrer Darstellung oberflächlich und einseitig positiv. So schafft man es nicht, diese wichtigen Success Stories für einzelne Vertriebsmitarbeitende relevant und übertragbar zu machen. Manche Zuhörer beschleicht dabei vielmehr ein Unbehagen und sie werden nicht zu ähnlichen Leistungen motiviert.

5. Knappe Zeit
Der Vertrieb ist stark beansprucht und soll seine knappe Zeit produktiv für Kunden nutzen. Ein fundierter Erfahrungsaustausch ist jedoch aufwendig und bleibt so als wünschenswerte Zusatzaktivität schnell auf der Strecke. Nach Meinung vieler Vertriebsverantwortlicher stellen die dargestellten Aspekte Spannungsfelder dar, die in jedem Unternehmen zum Vertriebsalltag gehören und die sich auch nicht vollständig auflösen lassen.
Wir zeigen im Folgenden insgesamt sieben Lösungsansätze auf, wie diese vermeintlichen Konflikte bewältigt werden können und wie der für alle Beteiligten vorteilhafte Erfahrungs- und Wissensaustausch im Vertrieb gelingen kann.

Lösungen

1. Umfassendes Wissensmanagement
In der Forschung wird das Thema Wissensmanagement seit Langem diskutiert. Es lassen sich unterschiedliche Wissensarten- und -prozesse unterscheiden, für die in Strukturen, IT-Systemen und Personen passende Lösungsansätze zu suchen sind (Müller-Stewens/Lechner 2001, S. 348 ff.). Auch die Praxis hat das enorme Potenzial von ungenutztem Wissen erkannt und setzt zu dessen Nutzbarmachung zunehmend auf Social-Business-Tools wie Sharepoint, Yammer oder Jam. UBS, Bayer oder Swisscom vertrauen mittlerweile sogar auf selbstlernende Know-how-Netzwerke, bei denen ein Algorithmus Inhalt und Aktivität der Mitarbeiteranfrage erkennt und Fragen automatisch an Experten innerhalb der Firma weiterleitet. Firmeninternes Fachwissen wird so in Echtzeit verfügbar. Natürlich sind solche Systeme immer nur so gut wie ihre Nutzer. Gerade im Vertrieb kann der Widerstand gegen neuartige Tools jedoch groß sein. Für die Vertriebsleitung gilt es deshalb, die Akzeptanz unter den Vertriebsmitarbeitenden zu erhöhen, indem die individuellen Vorteile einer aktiven Teilnahme transparent und verständlich gemacht werden.

2. Gemeinschaft
Das Prinzip der „Coopetition“ (Nalebuff/Brandenburger (2008), nach dem Unternehmen oder Abteilungen zwar als Team zusammenarbeiten, jedoch im individuellen internen Wettbewerb zueinander stehen, ist im Vertrieb an der Tagesordnung und wird von Großkonzernen wie bspw. Samsung aktiv gelebt. Ein solches Bereichsdenken wird durch Lohn- und Incentive-Systeme ebenso geprägt wie durch Planung und Controlling. Aktuelle Untersuchungen aus dem Spitzensport belegen jedoch, dass sich mit einer gemeinschaftlich geprägten und auf Zusammenarbeit ausgerichteten Unternehmenskultur sehr große Erfolge realisieren lassen und Mitarbeitende sogar leistungsfähiger werden, da sie von internem Leistungsdruck befreit sind (Betz/Werner 2015). Für Vertriebsverantwortliche gilt es somit, bspw. Team-Selling-Ansätze weiter zu fördern. Darüber hinaus sind gemeinsame Ziele und Erfolge eine wichtige Voraussetzung, um einen kontraproduktiven Wettbewerb im Unternehmen einzuschränken.

3. Internes Beziehungsmanagement
Persönliche Distanz fördert Missverständnisse und auch Misstrauen. Intensive Gespräche oder die gemeinsame Arbeit an Projekten steigern die Nähe und meistens auch die gegenseitige Wertschätzung. So mancher internationale Vertriebsverantwortliche reist 100 Tage und mehr pro Jahr, um direkt und spezifisch mit den Verantwortlichen in Niederlassungen zu diskutieren, neue Lösungen und Prioritäten zu entwickeln und auch selbst über das Land mit seinen Marktbedingungen und Kunden zu lernen. Diese persönlichen und intensiven Kontakte lassen sich nicht durch einen regen Mail-Verkehr und Austausch an Dokumenten ersetzen (Belz/Bussmann/Lee 2013).

4. Internationale Treffen
Die meisten Unternehmen veranstalten ein- bis zweimal pro Jahr eine Vertriebskonferenz, zu der die komplette Verkaufsmannschaft an einem attraktiven Ort zusammenkommt. Dies ist mit hohen Kosten für An- und Abreise, Unterkunft, Verpflegung und Social Events verbunden. Die Opportunitätskosten für entgangene Kundenzeit sind dabei noch gar nicht mit eingerechnet. Manche dieser internationalen Sales Meetings erweisen sich für die Beteiligten jedoch nur im informellen Teil als besonders wertvoll. Die Verlautbarungen des Managements, die Präsentationen zu neuen Produkten und die kurze Leistungsschau der Business Units verkommen zu einem Ritual. Als Gastreferenten engagierte vermeintliche Vertriebsgurus belasten Budget und Programm zusätzlich und helfen nur wenig. Dieser aufwendige Austausch lässt sich deutlich produktiver gestalten, indem bspw. den Teilnehmern oder den gastgebenden Regionen von der Zentrale mehr eigenverantwortlicher Gestaltungsspielraum eingeräumt wird. Etwa können einzelne Business Units im Turnus den Lead in der Organisation übernehmen oder Teilnehmer können aktiv neue relevante Themen einbringen und sich aktiv an Lösungen beteiligen.

5. Kundenfälle
Unternehmen realisieren meist viele verschiedene Projekte und Geschäfte mit Kunden. Auf den ersten Blick sind jedes Projekt, jede Ausschreibung und jeder Kunde spezifisch. Bei genauerem Hinsehen lassen sich jedoch deutlich Muster und Gesetzmäßigkeiten erkennen, aus denen sich Implikationen für zukünftige Kundenprojekte ableiten lassen. Aus diesem Grund ist die systematische Analyse von Aufträgen, realisierten Kundenprojekten bzw. von dabei im Unternehmen ablaufenden Prozessen zentral. Eine gute Fallanalyse erfasst dabei das Kundenunternehmen mit der Ausgangslage, den Herausforderungen und Zielen, den Prozess der Zusammenarbeit, die Lösung und Maßnahmen sowie die erzielten Ergebnisse für Kunden (und intern für das eigene Unternehmen).

Die besten Erfolge zeigen sich in einer klaren Konzentration auf ausgewählte Ansätze sowie in einer sinnvollen Kombination einzelner Ansätze miteinander.

In der Konsumgüter- und Gebrauchsgüterbranche ist ein solches Vorgehen bereits gang und gäbe. In Mikroanalysen der Kundenprozesse wird das Verhalten von Konsumenten evaluiert, um daraus Hebel für Marketing und Vertrieb zu bestimmen (Rutschmann/Belz 2014). Auch Anbieter von Industriegütern und umfassenden Services können sich diese Methode zu Nutze machen, etwa, indem sie mit dem gleichen Ziel wenige erfolgreiche und erfolglose Kundenprojekte analysieren. Sie erfassen dabei die Schritte aus Kunden- und Anbietersicht mit den jeweiligen Hauptverantwortlichen. Marketing und Vertrieb haben anschließend „nur“ noch die Aufgabe, den Kunden zum Kauf zu führen.
Generell sind nicht nur Erfolge ergiebig und selbst bei Best Practices interessieren insbesondere aufgetretene Schwierigkeiten und der Umgang damit. Lost-Order-Analysen eignen sich darüber hinaus vor allem dafür, Ineffizienzen im Verkaufsprozess bzw. Probleme des Unternehmens oder einzelner Verkäufer besonders klar aufzuzeigen. Es gilt, die kritischen Erfolgsvariablen zu erkennen und korrigierende Maßnahmen konsequent darauf auszurichten. Insgesamt sind mehr Tiefgang und Reflektion nötig, wenn es gelingen soll, aus Erfolgen und Misserfolgen zu lernen. Dann entfällt auch das interne Unbehagen gegenüber Best Practices und dem einseitigen Applaus für andere Einheiten.

 

6. Integration in der Weiterbildung
Um den Wissens- und Erfahrungsaustausch im Vertrieb lebendig und ergiebig zu halten, sind prominente Plattformen nötig. Eine solche findet sich etwa in den unternehmenseigenen Aus- und Weiterbildungsprogrammen für Führungskräfte und Mitarbeitende (Belz/Betz/Werner 2012). Durch die systematische Integration des internen Best-Practice-Sharings in betriebsinterne Trainings und die damit verbundene Kombination mit theoretisch konzeptionellen Inhalten und Erfolgsbeispielen anderer Unternehmen werden die eigenen Best Practices relevanter, anschaulicher und lassen sich einfacher auf das Tagesgeschäft der Teilnehmer übertragen. Ein angenehmer Nebeneffekt dieser Kombination ist, dass Schulungsteilnehmer den Wissens- und Erfahrungsaustausch untereinander als sehr bereichernd und als wichtigen Erfolgsfaktor für Weiterbildungsprogramme wahrnehmen.
Manche Unternehmen experimentieren mit gutem Erfolg damit, dass sie interne Lerngruppen bestimmen, die selbst ihren Bedarf erfassen und mit einem Budget auch ihre Weiterbildung gestalten. Oft bewährt es sich, solche Weiterbildungsprogramme in Zusammenarbeit mit erfahrenen Dienstleistern zu gestalten, die den Wissensaustausch und das Best-Practice-Sharing moderieren und kraftvoll sowie effizient gestalten helfen.

7. Informationssysteme und Methoden
Schließlich wird der Austausch auch über ERP-Systeme und internationales Customer-Relationship-Management erleichtert. Auch gibt es Möglichkeiten, besondere Informationen für Mitarbeitende durch kleine Filme, Spezialdokumentationen oder praktische Anleitungen zu verbreiten. E-Learning erweist sich dabei als beweglicher und wirksamer Ansatz. Für wichtige Aufgaben lassen sich Methoden oder vordefinierte Prozesse einführen. Ermitteln beispielsweise die Länder das Markt- und Kundenpotenzial nach einem einheitlichen Schema, so lassen sich die Ergebnisse gut vergleichen. Ähnliches gilt für die Struktur des Reportings.
Natürlich ist diese Liste an Lösungsansätzen nicht abschließend. Die besten Erfolge zeigen sich jedoch ohnehin in einer klaren Konzentration auf ausgewählte Ansätze sowie in einer sinnvollen Kombination einzelner Ansätze miteinander.

Fazit
Die Herausforderungen in einzelnen Märkten oder bei einzelnen Kunden gleichen sich häufig und sind nicht jedes Mal neu. In einzelnen Abteilungen und bei einzelnen Personen finden sich wertvolle Arbeitsweisen, Lösungen oder Einsichten zum Vertrieb. Es lohnt sich, die oft zufällig entstandenen Erfolge, aber auch Misserfolge zu identifizieren, zu reflektieren und einen umfassenden Lernprozess im Vertrieb zu gestalten. Die Schubkraft und Konsequenz ist durch externe Spezialisten oft größer, weil sie nicht einfach eine weitere Zusatzaufgabe zu erfüllen haben und auch ein lebendiges System gestalten können.

Institut für Marketing der Universität St. Gallen

Mit rund 35 Mitarbeitenden erforscht das Institut für Marketing der Universität St.Gallen in den Kompetenzzentren die Themen B-to-B-Marketing und Hightech-Marketing, Verkaufsmanagement, Dialogmarketing, Messen, Multichannel-Management und kooperatives Marketing sowie Marketingperformance (www.ifm.unisg.ch). Aktuelle Entwicklungsprogramme mit Unternehmen sind Best Practice in Marketing, reales Kundenverhalten – reales Marketing, Sales driven Company und Customer Centricity.

Generellere Themen sind Marketinginnovation, Trends/Kundeninformation/Kundenverhalten, Markenführung, Internationales Marketing, Solutions- und Volumengeschäft, Kundenmanagement sowie Marketingführung und -organisation.

Ziel des Instituts ist es, die eigene Forschung und Entwicklung mit führenden Unternehmen und Führungskräften zu verbinden. In allen Bereichen wird der Transfer zudem durch betriebsübergreifende und interne Weiterbildungen sowie die „Marketing Review St. Gallen“ (Gabler Verlag) gefördert.

Im Institutsleiterteam wirken mit: Prof. Dr. Christian Belz (Geschäftsführer), Prof. Dr. Sven Reinecke,

Prof. Dr. Marcus Schögel, Dr. Michael Betz, Dr. Michael Reinhold und Prof. Dr. Christian Schmitz.

Flankiert werden diese Aktivitäten durch mehrere weitere Institute im Marketingdepartment der Universität St.Gallen. Spezialisten befassen sich in den Instituten für Versicherungswirtschaft, für öffentliche Dienstleistungen und Tourismus und für Banken, für Wirtschaft und Ökologie sowie den Forschungsstellen für Customer Insight und Internationales Handelsmanagement mit Marketing.
Quellen

Belz, Ch./Betz, M./Werner, Ph. (2012): Zwölf Mythen der Inhouse- Weiterbildung im Marketing, in: Marketing Review St.Gallen 29, Nr. 06/2012, S. 38–45.

Belz, Ch./Bussmann, W./Lee, Y. (2013): Global Sale – zentrale Eingriffe im internationalen Vertrieb, in: marke41, Nr. 4, S. 8–15.

Betz, M./Werner, Ph. (2015): Ein Herz für Bankdrücker, in: Harvard Business Manager, Nr. 1, S. 12–13.

Müller-Stewens, G./Lechner, Ch. (2001): Strategisches Management – Wie strategische Initiativen zum Wandel führen, Stuttgart: Schaeffer-Poeschel.

Nalebuff, B. J./Brandenburger, A.M. (2008): Coopetition: kooperativ konkurrieren – Mit der Spieltheorie zum Geschäftserfolg, Rieck, Eschborn.

Rutschmann, M./Belz, Ch. (2014): Reales Marketing – Reales Marketing: Kunden zum Kauf führen: Kaufprozess – Kaufhandlung – Erfolg, Stuttgart: Schaeffer-Poeschel.

Autorin(nen) / Autor(en):
Ordinarius für Marketing des Instituts für Marketing an der Universität St. Gallen
Universität St. Gallen
Marketing Auditorium St. Gallen AG