Marken brauchen Hyperrelevanz

Marken brauchen Hyperrelevanz

Digitale Zukunft Die Menschen ersaufen in einem gigantischen Vielzuviel von Waren, Optionen, Informationen. So wird alles, was nicht wirklich, wirklich wichtig ist, gnadenlos ausgeblendet. Jenseits des Nötigen kommen Marken nur noch dann bis zum Konsumenten durch, wenn sie Hyperrelevanz in sich tragen.

Das Suchverhalten und die Entscheidungsprozesse der Kunden haben sich längst schon weitaus drastischer verändert, als die Unternehmen das wahrhaben wollen. Viele Anbieter kommen den sich zunehmend digitalisierenden, zu Netzwerkschwärmen verbundenen Konsumenten längst nicht mehr hinterher. Deren Gewohnheiten ändern sich laufend. Ihre Anspruchshaltung steigt ständig. Messlatte ist nicht länger der Wettbewerb, sondern branchenübergreifend der Beste seines Fachs.
Zudem sind die Kunden jederzeit absprungbereit. Im Web wird man ständig zur Untreue verführt. Zu jedem Produkt und jeder Dienstleistung gibt es interessante Alternativen, die mit wenigen Klicks erreicht werden können. So wird Neues laufend getestet. Wechseln ist völlig normal. Die Neukundengewinnung erfordert eine endlose Kraftanstrengung. „Solide“ Leistungen und Beliebigkeit fallen gnadenlos durch. Standard und Mittelmaß locken heute niemanden mehr. Anbieter, die sich nicht auf eine ganz individuelle Art besonders anziehend machen, verschwinden vom Markt.
Auch die Zeitbudgets der Menschen sind heute begrenzt. Was also zu kompliziert ist, Probleme verursacht oder uns Zeit stiehlt, scheidet aus. Ferner verlieren die klassischen Statussymbole deutlich an Reiz. Immaterielles hingegen erhält zunehmend Bedeutung. Erlebnisse sind vor allem der optionsfreudigen jungen Generation wichtiger als Besitz. „Sharen“, also das Teilen von Dingen und mithin auch die Wiederverwendbarkeit, sind neue Megatrends. Jenseits des Nötigen kauft man Neues nur noch dann, wenn es entweder unverzichtbar ist und/oder Hyperrelevanz für einen hat.

Hyperrelevanz erzeugt magische Anziehungskraft

Ein wesentliches Ziel für Firmen in der Digitalökonomie ist also das Erreichen der Hyperrelevanz. Hyperrelevanz genießen nur Unternehmen, Produkte und Marken, an denen man einfach nicht vorbeikommt. Sie bieten eine derart unwiderstehliche Leistung, dass Kunden „meilenweit laufen“, um stolze Nutzer oder Besitzer zu sein. Unannehmlichkeiten und Marotten werden verziehen, man ist ja Fan. Man will nur mit „dem einen“ Anbieter zusammenarbeiten und nur „dieses eine“ Produkt kaufen. Missionarisch trägt man die Botschaft solcher Marken hinaus in die Welt.

Die Neukundengewinnung erfordert eine endlose Kraftanstrengung. „Solide“ Leistungen und Beliebigkeit fallen gnadenlos durch.

Hyperrelevante Marken sind somit äußerst begehrenswert. Der beste Indikator dafür: Das sind die Namen der Marken, die immer dann fallen, wenn es um etwas Bedeutsames geht. Sie erzeugen Hyperrelevanz in ihrer Kategorie und genau in der Zielgruppe, die sie gewinnen wollen. Man kann und will auf sie nicht verzichten. Solche Marken stellen eine Identifikationsfläche dar. Sie sind überaus nützlich, anderen beispielhaft überlegen, dem Üblichen weit voraus. Und sie sind charismatisch, ja geradezu faszinierend, quasi behaftet mit einer gewissen Magie.
Hyperrelevante Marken erlöschen nicht nach einem kurzen Hype. So wie etwa Tesla, Nike, Starbucks oder Red Bull beflügeln sie vielmehr den Zeitgeist. Einige sind nur in eingeweihten Kreisen bekannt. Andere sind in aller Munde und werden ständig zitiert, weil jeder sie kennt. Man mag sie lieben oder hassen, aber man kommt an ihnen nicht vorbei. Auch dann nicht, wenn sie polarisieren: Der Eindruck von Hyperrelevanz wird weithin geteilt und ringt den Leuten Bewunderung ab.
Dabei kann Technologie per se allenfalls kurzfristig begeistern. Zudem ist Technologie nicht exklusiv. Deshalb ist sie schnell imitiert. So sorgt sie bestenfalls nur sehr temporär für einen Wettbewerbsvorteil. Auch Produkte als solche sind ruckzuck kopiert. Darüber hinaus sind sie leicht vergleichbar. Hierdurch geraten sie sofort in den Preiswettbewerb. Und im Preiswettbewerb verliert jedes Produkt sein Charisma. Individualisierung und personalisiertes Vorgehen hingegen sorgen für Differenzierung, für Emotionalisierung und damit auch für Hyperrelevanz.

 

Wodurch Hyperrelevanz erreicht werden kann

Unternehmen, die erfolgreich in Hyperrelevanz investieren, tun vor allem drei Dinge:

  1. Sie verstehen die Kundenbedürfnisse an jedem beliebigen Punkt im Kauf- und Nutzungsprozess und entwickeln möglichst individuell passende Lösungen.
  2. Sie beseitigen alles, was das Vertrauen der Kunden gefährden und/oder langwierige beziehungsweise unangenehme Kauf- und Nutzungserlebnisse hervorrufen könnte.
  3. Sie agieren vorausschauend agil, investieren in digitalunterstützte Abläufe und behandeln die Daten ihrer Kunden mit äußerster Sorgfalt gesetzeskonform.

Ein gutes Tool, um Hyperrelevanz zu erreichen, ist das Service Design. Dabei handelt es sich nicht um die branchenweit üblichen, einfach zu realisierenden 08/15-Zusatzleistungen, die heutzutage jeder hat und kann. Bei den neuen Ansätzen von Service Design werden Dienstleistungen wie maßgeschneidert „am Kunden“ entworfen. Ferner ist mit Design nicht nur eine ansprechende Optik gemeint, sondern auch eine umwerfende inhaltliche Komposition. Letzteres macht zum Beispiel Nutella für viele hyperrelevant. Die wollen Nutella – und keinen billigen Abklatsch, kein Plagiat.
Hyperrelevanz erzielt man zudem durch den Netzwerkeffekt. Der besagt: Wo viele sind, wollen viele sein. Und wo niemand ist, will niemand sein. Warum das so ist? Mit jedem neuen Akteur auf einer Plattform – egal ob Anbieter oder Kunde – steigt der Nutzen für alle Teilnehmer. Wer also die Regeln der Plattform- Ökonomie gut beherrscht, liegt in Sachen Hyperrelevanz ganz schnell vorn. Das hat zum Beispiel auch das erst 2011 in München gegründete Unternehmen Flixbus bewiesen, das mit digitalem Know-how und Netzwerkeffekten derzeit die Welt erobert. Die grünen Überlandbusse und Züge hingegen gehören Subunternehmern.

Die Ziele auf dem Weg zur Hyperrelevanz

Überall da, wo mit den üblichen Standards gearbeitet wird, tut sich Hyperrelevanz schwer. Natürlich muss Qualität nach unten hin abgesichert werden und gesetzlichen Vorgaben entsprechen. Doch jede Normierung erzeugt Isomorphie. Das bedeutet: Man gleicht sich immer mehr an. Genau deshalb wird man gewöhnlich. Aber gewöhnlich ist das Gegenteil von begehrlich – und damit der Todesstoß für jegliche Hyperrelevanz.
Also braucht es weit jenseits von Dienst nach Vorschrift das Ziel, die Konsumenten durch herausragende Customer Experiences zu betören und Bemerkenswertes für sie zu schaffen. Dazu müssen die internen Rahmenbedingungen stimmen.

Weit jenseits von Dienst nach Vorschrift braucht es das Ziel, die Konsumenten durch herausragende Customer Experiences zu betören und Bemerkenswertes für sie zu schaffen.

Doch die meisten Probleme, die Kunden bekommen, passieren interdisziplinär: Kommunikations- und Abstimmungsprobleme im Gerangel zwischen Zuständigkeiten, Bereichsegoismen und Effizienz. Die Hauptaktionsrichtung eines klassischerweise hierarchiegeprägten Unternehmens verläuft nämlich vertikal, also top-down und wieder zurück.
Eine typische Customer Journey hingegen verläuft entlang der unterschiedlichsten Touchpoints quer durch die Unternehmenslandschaft und verlangt demnach eine den Kundeninteressen dienende Zusammenarbeit. Ein Customer-Touchpoint- Manager kann dies unterstützen. So sorgt er nicht nur für Anpassungsfähigkeit und Agilität, sondern auch dafür, dass Hyperrelevanz so lange wie möglich erhalten bleibt. Eine Firma ist ja nicht gut, weil sie einmal einen Kassenschlager entwickelt hat. Sie ist gut, weil sie die Fähigkeit in sich trägt, Potenziale für Kassenschlager stets früh zu erkennen, und weil sie ein herausragendes Team dazu bringt, diese am laufenden Band zu erschaffen.
Hyperrelevanz will ein ständiges Habenwollen bewirken, die Reputation stärken, die Kundenloyalität dauerhaft nähren und ein engagiertes Weiterempfehlen erreichen. Dabei ist der letzte Punkt ganz entscheidend. Denn nicht, was eine Marke mithilfe teurer Werbung selbst über sich sagt, sondern was andere über sie kundtun, das zählt. Eine hohe Zahl weiterempfehlender „wissender Dritter“, die aus eigener Erfahrung berichten und freiwillig als Botschafter und Fürsprecher agieren, ist das mit Abstand beste Anzeichen für beginnende Hyperrelevanz.

Das Buch zum Thema

Anne M. Schüller, Alex T. Steffen Die Orbit-Organisation In 9 Schritten zum Unternehmensmodell für die digitale Zukunft Gabal Verlag 2019, 312 Seiten, 34,90 Euro ISBN: 978-3869368993

 

 

 

 

 

 

 

Autorin(nen) / Autor(en):
Management-Consultant und Gastdozentin an mehreren Hochschulen