"Der Vorabend ist die Königsdisziplin"

"Der Vorabend ist die Königsdisziplin"

Uwe Esser, Geschäftsleitung TV ARD-Werbung Sales & Services über die Relevanz von Verlässlichkeit, veraltete Zielgruppendefinitionen und die Kunst, in Werbung und Programm die richtigen Anker zu setzen.

Herr Esser, als öffentlich-rechtlicher Sender darf Das Erste nur bis 20 Uhr werben. Demnach ist der Vorabend für Sie die wichtigste Werbeschiene. Sind um diese Tageszeit aber nicht noch viele Zuschauer völlig vom Alltag vereinnahmt und fernab der Mattscheibe?
Uwe Esser: Ein Großteil der Bevölkerung ist um 17 Uhr bereits zu Hause und kann am Vorabend Unterhaltung und Informationsformate im Fernsehen aufgreifen. Darauf bauen wir im Ersten unseren gesamten Audience Flow vom Nachmittag an auf und entsprechend sind die Programmformate und die Werbemöglichkeiten installiert. Das sind sensible Prozesse, die ausgesteuert und die einfach passen müssen. Der Vorabend ist für mich daher die Königsdisziplin, weil wir die Menschen in dieser Zeit aus dem abflauenden Alltagsstress abholen und mit einem entspannten Mix aus Information, Hintergrund und spielerischen fiktionalen Qualitätsprogrammen zur Primetime hinführen.

Kann man dabei denn auf gelerntes Fernsehverhalten bauen?
Esser: Die ARD nimmt sich des Themas forscherisch sehr umfassend an. Das gilt für die Programmverantwortlichen genauso wie für uns als Vermarkter. Daher wissen wir, dass der Vorabend eine mit über 20 Millionen erfreulich hohe und konstante Seherschaft hat. Und wir wissen, dass sich in dieser Zeitschiene auch die Nutzungsmechanismen etwas von denen der Primetime unterscheiden. Das hat Auswirkungen auf das Sendeschema und die Inhalte. So ist es wichtig, dass die Vorabendformate in ihrem dramaturgischen Zuschnitt auch während des Programmverlaufs keine Einstiegsbarrieren haben. In dieser Mechanik arbeiten zum Beispiel auch die Formate innerhalb der Heiter-bis-tödlich-Dachmarke. Und sie tun es mit zunehmendem Erfolg.

Ist es wichtig, den Zuschauern Regelmäßigkeiten zu bieten?
Esser: Natürlich ist das Programm immer bestrebt, Innovationen zu entwickeln und Neues auszuprobieren. Aber im ARD-Vorabend agiert man mit Augenmaß, da die Zuschauer in dieser Phase des Tages nicht zu sehr gestresst werden wollen. Der Vorabend ist für die Zuschauer wie ein Entspannungsbecken und soll positiv inspirieren. Daher ist Verlässlichkeit eine der wesentlichen Säulen eines erfolgreichen Programmschemas. Idealerweise folgt daher das Vorabendprogramm montags den gleichen Rastern wie am Mittwoch oder Donnerstag etc. Nehmen Sie den Samstagabend mit der Sportschau ab 18 Uhr, die Tagesschau um 20:00 Uhr oder den Sonntag: Da ist um 20.15 Uhr in der Republik weithin Tatort-Zeit. Und diese Leuchttürme punkten generationsübergreifend, sind Marken, die den Rhythmus unseres TV-Konsums bestimmen.

Nun dreht sich bei den jüngeren Zuschauergruppen heute vieles eher ums Internet. Erreicht man die Youngsters denn mit Vorabendserien? Oder zugespitzter: Erreicht man sie überhaupt noch?
Esser: Ich bin davon überzeugt, dass das Gemeinschaftserlebnis lineares Fernsehen nach wie vor bestimmend ist. Das zeigen ja im Übrigen nach wie vor die medialen Debatten. Es sind die TV-Programmformate, die hier die Trends setzen. Nach unseren aktuellen Erkenntnissen verbringen die unter 29-Jährigen heute immer noch über zwei Stunden täglich mit TVKonsum. Das ist beileibe kein schlechter Wert. Und wenn sich ein gutes, unterhaltsames Format dauerhaft etabliert, sind wir automatisch auch bei jüngeren Zielgruppen wieder stark. Allerdings sind Phänomene wie die Vorabend-Soap Verbotene Liebe, die seit vielen Jahren einen überproportional hohen Marktanteil bei jungen Frauen erreicht, derzeit in der Branche eher die Ausnahme. Aber Das Erste ist auch nicht als Jugendsender positioniert, sondern wir wollen einen breiten gesellschaftlichen Schnitt erreichen, junge Menschen, Familien und Ältere, natürlich mit einem Sog in Richtung Entscheider-Zielgruppen.

Spricht die ARD-Werbung bei möglichen neuen Formaten eigentlich ein Wörtchen mit?
Esser: Die ARD-Werbung finanziert den Vorabend. Auf die inhaltliche Ausgestaltung haben wir keinen Einfluss. Es gibt eine strikte Trennung von Werbung und Programm. Wir nehmen das Programm so, wie es kommt und vermarkten es. Und damit fahren wir in der Regel sehr gut.

Thema Sonderwerbeformen im TV : Für Sie als Vermarkter ein viel versprechendes Terrain? Oder eher ein mit Vorsicht zu genießendes Experimentierfeld?
Esser: Das muss man differenziert betrachten. Es gilt immer abzuwägen, wie viele Sonderwerbeformen dem Programm gut tun. Wenn ich 40 Prozent Sonderwerbeformen habe, dann mache ich etwas falsch. Aber ein gewisser Anteil ergibt durchaus Sinn. Da geht es ja beispielsweise auch um Solo-Platzierungen, die dem Werbekunden eine spezielle Form der Aufmerksamkeit schaffen. Die Kombination von zufriedenen Kunden mit unterschiedlichen Bedürfnissen in einem homogenen Programmablauf ist unser Ziel. Und ich kann Ihnen sagen: Es wird inzwischen sehr genau hingeschaut, was ein Sender liefern kann und wie er in den Gesamtkontext einer Kampagne passt.

„Heiter bis tödlich“ ist die neue Krimiserien-Dachmarke am Vorabend. Können Sie schon eine Zwischenbilanz ziehen?
Esser:
Im ersten Halbjahr waren unsere Programmabläufe durch das Experiment Gottschalk Live leider noch nicht so konsistent, wie sie es gewohnt sind. Dennoch hat sich die neue regionale Krimi-Dachmarke Heiter bis tödlich in dieser Zeit bereits stetig nach vorn entwickelt. Und mittlerweile, nach Fußball-EM und den Olympischen Sommerspielen, haben wir am Vorabend eine Reihe von Formaten, die sich in den letzten Monaten um mehr als 20 Prozent verbessert haben. Unter anderem Hubert und Staller, Akte Ex und Null gewinnt; Trend weiter steigend.

Mit der alten Vorabendstruktur ist auch die „Viertelstunde vor acht“ mit ihren vielen kurzen Formaten zurück, die durch Werbung voneinander abgesetzt sind. Bewährt sich das tatsächlich?
Esser: Wir halten die Werbung bei uns allgemein kurz und bündig mit noch immer deutlich weniger als zwei Minuten pro Werbeblock, vor acht sogar noch kürzer. Nicht nur im Vergleich zu den marktüblichen Vermarktungs-Clustern sind wir da sehr aufgeräumt unterwegs. Die Viertelstunde vor acht ist kürzer mit starken Formaten wie Wissen vor acht und Wetter vor acht oder der Börse im Ersten. Die sorgen für eine attraktive Wissensund Informationsvermittlung und geben entsprechend Halt und Orientierung. Entscheidend in dieser Zeitzone ist es, dort den Übergang zu schaffen von den unterhaltenden Formaten am Vorabend hin zu den „Realdramen des Tages“ in der Tagesschau.

Im TV -Markt wird derzeit viel über Zielgruppen- Definitionen diskutiert. Die ARD-Werbung weist schon seit Längerem die Zielgruppe 20 bis 59 aus. Muss man dieses Themenfeld heute insgesamt völlig neu bewerten?
Esser: Wir haben in der Fernsehvermarktung in der Vergangenheit nie nach „der einen“ Zielgruppe fokussiert. So bieten wir auch in Zukunft im Ersten ein Programm für ein breites Zielgruppenspektrum an – nachmittags für andere als am Vorabend. Und auch die Viertelstunde vor acht stellt eine andere Zielgruppe als die der Sportschau dar. Die Zielgruppendiskussion sehe ich eher als eine Preis-Benchmarking-Diskussion, bei der man schnell der Versuchung erliegen kann, Sender grobschnittartig in eine Schublade hinein zu pressen. Richtig ist, dass wir die Zielgruppe 20 bis 59 für den TV-Bereich realitätsnäher erachten als die künstliche Verengung auf die Gruppe der 14- bis 49-Jährigen. Für den Kunden ist entscheidend, was er konkret für seine Anforderungen an Gegenleistung bekommt, und da existieren -zig Zielgruppen.

Nun gilt TV -Werbung aber dennoch weit verbreitet als Domäne der großen Werbungtreibenden. Macht das Medium als Werbekanal für kleinere, mittelständische Unternehmen überhaupt keinen Sinn?

Der Vorabend ist für mich eine Königsdisziplin, weil man hier die Menschen aus dem abflauenden Alltagsstress abholt und mit einem Mix aus Information, Hintergrund und spielerischen fiktionalen Qualitätsprogrammen zur Primetime hinführt. Uwe Esser, Leiter TV -Vermarktung,
ARD Sales & Services GmbH, Frankfurt

Esser: Das ergibt sogar sehr viel Sinn. Wir legen einen großen Fokus auf den Mittelstand und inhabergeführte Unternehmen, auch wenn das vielleicht nicht so stark medial nach draußen dringt. Unsere Werbeumfelder sind, so selbstbewusst darf ich an dieser Stelle sein, von der Glaubwürdigkeit und dem Vertrauen in die Güte unseres Programms und den kürzesten Werbeblöcken im TV geprägt. Und gerade hier setzen Mittelständler doch an: Mit kleinerem Budget müssen sie das Maximum an Werbewirkung herausbekommen. Wer sich intensiver mit unserem Angebot beschäftigt, wird feststellen, dass sich unsere Spot-Preise durch einen hohen Return-on-media-Invest auszeichnen. Zumal wir durch unsere Möglichkeiten, Werbung regional feinzusteuern, hier ganz individuelle Werbeziele bedienen können. Das können andere Fernsehsender so nicht bieten.

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