Jaguar-Landrover: steiler Aufstieg

Jaguar-Landrover: steiler Aufstieg

Entweder war es der größte Fehler der Ford Motor Company oder einfach die Erkenntnis, das Premium-Geschäft nicht zu verstehen. Legt man einen Vierjahres-Index aus Wachstum und Profitabilität zugrunde, in den jeweils hälftig die Absatz-Wachstumsraten und die Umsatzrenditen eingehen, und betrachtet die Autobauer mit mehr als 200 000 verkauften Fahrzeugen pro Jahr, war Jaguar-Landrover in den letzten vier Jahren der erfolgreichste Autobauer der Welt.

Allein Porsche, die bisher unter 200 000 Fahrzeuge pro Jahr verkauften, hatten in den letzten vier Jahren mit einer jährlichen Wachstumsrate beim Absatz von 19 Prozent ein genau so hohes Wachstum wie Jaguar-Landrover erzielt. Während Porsche allerdings im Durchschnitt 19 Prozent Umsatzrendite in den letzten vier Jahren erzielte, liegt sie bei Jaguar-Landrover in den letzten vier Jahren bei mehr als elf Prozent. Das ist deutlich besser als Mercedes und auf Augenhöhe mit Audi und BMW. Aus dem unansehnlichen Entlein Jaguar-Landrover ist ein hübscher Schwan geworden.
Im Kalenderjahr 2013 hat Jaguar-Landrover weltweit 425 000 Neuwagen verkauft und dabei einen Anteil von 5,8 Prozent im Premium-Markt weltweit erzielt. Im ersten Halbjahr 2014 hat Jaguar-Landrover mit 240 373 Verkäufen weltweit ein Plus von 14 Prozent erzielt und damit erstmals mehr Neuwagen weltweit verkauft als Volvo (1. Halbjahr 2014: 208 000). Damit steht Jaguar-Landrover erstmals auf Rang fünf der Weltrangliste der größten Premium-Autobauer hinter BMW, Audi, Mercedes und Lexus. Der Jaguar-Landrover Zuwachs war im ersten Halbjahr 2014 höher als der Mercedes-Zuwachs (12,8 Prozent), als der Audi-Zuwachs (11,4%) und der Zuwachs der Marke BMW (10,2%). Im Jahr 2014 dürfte Jaguar-Landrover mit 485 000 verkauften Neuwagen weltweit einen neuen Rekord erzielen. In einem Vier-Jahreszeitraum (von 2010– 2014) wird damit Jaguar-Landrover seine weltweiten Verkäufe um 214 Prozent gesteigert haben. Der Erfolg geht weiter und im Jahre 2020 wird Jaguar-Landrover mit 900 000 Verkäufen vor Lexus auf Platz vier der Weltrangliste der größten Premium-Hersteller liegen.
Das Erfolgsgeheimnis des Überfliegers: ein Bündel von Dingen. Es ist gleich ein ganzes Bündel von Dingen, die Jaguar-Landrover richtig macht. Alles fing nach der Übernahme durch den indischen Mischkonzern Tata Sons Ltd mit dem richtigen Management an. Die Gene des Jaguar-Landrover-Managements kommen trotz des indischen Besitzers Tata Sons Ltd aus Deutschland, genauer gesagt von BMW, und sind gewisserweise Kinder des früheren BMW-Entwicklungschefs und früheren Linde- Vorstandsvorsitzenden Wolfgang Reitzle. Was ihm bei der Ford Premium Group mit Jaguar, Landrover und Volvo weniger gelang, gelingt jetzt seinen Kindern. Der Jaguar-Landrover Chef Ralf Späth hat wie einige seiner Management-Kollegen mit Reitzle Autos bei BMW gebaut. Präzision, Qualität, hochwertiges Design und Innovation sind wichtige Bestandteile für den Erfolg im Premium-Segment.
Hohe Innovationsgeschwindigkeit, hohe R&D-Budgets, hochwertiges Design, Präzision und Innovation kamen mit dem Landrover Evoque, ein Fahrzeug, das fast in avantgardistischer Manier die Coupé-Formsprache mit den Merkmalen eines leichten SUV kreuzte und Landrover große Verkaufserfolge beschert hat. Ähnliches könnte mit dem F-Type Sportwagen gelingen, der jetzt in den wichtigen Märkten als Coupé und Cabrio etabliert wird. Die Pipeline neuer Produkte wurde und wird unter dem neuen Besitzer und Management gefüllt. Im Zeitraum 2011 bis 2016 will Jaguar-Landrover 40 neue Modelle bzw. Erneuerungen von den bestehenden Modellen in den Markt bringen. Dies sind pro Jahr acht Modellanläufe. Die Geschwindigkeit mit der neue und gleichzeitig perfekte Produkte auf die Straße rollen, ist für das relativ kleine Unternehmen, das früher unter dem Makel schlechter Produktqualität litt, enorm.
Zu Ende des Geschäftsjahres Ende 2013 hatte Jaguar- Landrover gerade 25 000 Mitarbeiter. Der Anteil vom Umsatz, der für Löhne und Gehälter bezahlt werden muss, lag in den letzten vier Jahren bei 8,5 Prozent. Bei anderen Autobauern liegt diese Relation deutlich über zehn Prozent. BMW etwa braucht 11,6 Prozent seiner Umsatzerlöse zur Bezahlung der Mitarbeiter. Es ist also eine sehr effiziente Mannschaft, die unter Späth arbeitet. Und es kommt noch etwas dazu. Der Standort England hat wegen des starken Euro deutlich niedrigere Arbeitslosenzahlen als Deutschland. Während in Deutschland in der Automobilindustrie die Arbeitsstunde inklusive Lohnnebenkosten mit 48 Euro zu Buche schlägt, sind es in England eben nur 25 Euro. Natürlich macht sich auch das bemerkbar.

Solide finanziert: die englisch-indische Version von BMW

Mit seinen Gewinnen geht Jaguar-Landrover durchaus sehr sorgfältig und zukunftsorientiert um. Nicht nur gute Kostenbedingungen und hohes R&D stehen im Mittelpunkt, sondern auch der Aufbau der Eigenkapitalbasis. Der neue Besitzer Tata Sons läßt die Gewinne im Unternehmen stehen. Und so konnte der Eigenkapitalanteil in der Bilanz von 22 Prozent im Finanzjahr 2011 auf mittlerweile 36 Prozent aufgestockt werden. Die BMW AG hat einen Eigenkapitalanteil von 32 Prozent am Gesamtvermögen des Unternehmens. Auch dieser Vergleich zeigt, dass Jaguar-Landrover betriebswirtschaftlich sehr solide aufgestellt ist, ja fast schon aufpassen muss, nicht zu viel Eigenkapital einzusetzen, um Hebelwirkungen nicht zu verlieren.
Der neue Eigentümer ist also das diametrale Gegenteil von einer Private-Equity-Gesellschaft. Auch aus dieser Perspektive ist Jaguar-Landrover sehr langfristig ausgerichtet. Es zählt nicht der schnelle Euro, sondern das langfristig erfolgreiche Engagement. Ebenso wie es beim BMW-Ankeraktionär, der Quandt-Familie, der Fall ist. Jaguar-Landrover hat damit deutlich mehr Ähnlichkeit zu BMW, als man vermuten könnte. Es ist ein bisschen die englisch-indische Version der Bayern.
Risiko: CO2-Grenzwerte. Aber nicht nur effiziente Arbeitsbedingungen helfen Jaguar-Landrover, sondern es wird viel ins Produkt investiert. 6,7 Prozent der Umsätze wurden in den letzten Jahren in für R&D eingesetzt. Ebenfalls ein hoher Wert für Autobauer. Dabei spielen strategische Investitionen eine Schlüsselrolle. Die wichtigen Themen der Autoindustrie werden angepackt. Jaguar-Landrover ist im Markt der Premium-Fahrzeuge und hat heute kein Angebot in der Klasse „Premium light“, wie etwa BMW mit seiner 1er Reihe oder dem Mini. Umso schwieriger wird es, die CO2-Regulierungen in Europa und später in anderen Märkten zu erfüllen. Auch unter Berücksichtigung der Gewichtskomponente bei der CO2-Regulierung liegt heute Jaguar-Landrover noch deutlich über den EUVorgaben, deren Nichterfüllung ab dem Jahr 2015 hohe Strafzahlungen an die EU bedeutet. Die Jaguar-Modellreihe hatte im Jahr 2013 einen CO2-Ausstoß von 178 Gramm Kohlendioxid (CO2) pro Kilometer, Landrover sogar 196 Gramm. Mit Gewichts-Bonus müsste Landrover 165 Gramm CO2/km erreichen. Dabei gilt, dass ab dem Jahr 2023 die CO2-Regulierung in der EU nochmals verschärft wird, sodass bei Jaguar-Landrover im Mittel über alle verkauften Neuwagen ein Wert von 95 Gramm plus Gewichtskomponente erreicht werden muss. Deshalb wurde mit 580 Millionen Euro ein völlig neues Motorenwerk gebaut, eine neue Vier-Zylinder-Turbo- Motorenreihe entwickelt, der Markendifferenzierungsfaktor Leichtbau Aluminium weiter getrieben, an der Wärmerückgewinnung von Abgassystemen gearbeitet und intensiv in Hybride und Plug-in-Hybridtechnologie investiert. Bisher ist die Mutter Tata nicht in Europa vertreten. Ohne zusätzliche Allianz mit einem Kleinwagenhersteller könnte die Welt für Jaguar-Landrover trotz aller Technologie-Investitionen schwieriger werden. Vielleicht kann ja Chery, der Joint-Venture-Partner aus China, helfen, mit zukünftigen Kleinwagen bei der Erfüllung der Grenzwerte im Pooling-Verfahren zu unterstützen.

Durch Technik basierte Positionierung: markenprägende Innovationen

Ganz nach der Devise des früheren BMW-Entwicklungschefs Reitzle arbeitet Jaguar-Landrover sehr systematisch an der durch Technik basierten Positionierung der Marken. Wie BMW der etwas enger geschnittene und damit sportlichere Maßanzug nach Reitzle sein sollte, werden bei Jaguar-Landrover markenprägende Innovationen gesucht. Neuestes Beispiel, die Kamera, welche die Straßen unter dem Auto filmt und die Kamerabilder auf einem Head-up-Display zeigt. Das Ganze nennt sich „Transparent Bonnet“, also transparenter Unterboden im Auto oder Discovery Vision Concept. Etwas, das man genau so wenig braucht wie einen SUV, aber das dem Off-Roader, der vermutlich nie Off-Road- Gelände sieht, authentischer macht. In der Kiesgrube unter dem SUV den Kies sehen, ist eine Art Kick für den SUVFreak. Also gibt Landrover dieses Spielzeug dem Kind im Manne. So wie man in Langstreckenfliegern eben als Passagier als Spielerei auch das Rollen auf der Landpiste sieht.

Es zählt nicht der schnelle Euro, sondern das langfristig erfolgreiche Engagement. (...) Jaguar- Landrover hat damit deutlich mehr Ähnlichkeit zu BMW, als man vermuten könnte. Es ist ein bisschen die englisch-indische Version der Bayern.

Nutzung des hohen Wachstumspotenzials durch neue Auslandwerke Jaguar-Landrover hat in den letzten vier Finanzjahren (jeweils Anfang April bis Ende März des Folgejahres) seinen Absatz jährlich im Durchschnitt um 19 Prozent gesteigert. Dabei kam dem Unternehmen zugute, dass bei der Übernahme durch Tata beide Marken nicht stärker hätten nach unten gewirtschaftet sein können, und man dann den Effekt „alte Freunde und Kunden wieder gewinnen“ gut nutzen konnte. Aufgrund des systematischen Ausbaus der Modellreihen sowie zwei neuer Werke in China und Brasilien kann man davon ausgehen, dass die Wachstums-Ära von Jaguar- Landrover weiter geht. Nach unserer Prognose wächst der Absatz von 410 000 Fahrzeugen im Financial Year 2014 bis ins Financial Year 2020 im Durchschnitt um jährlich 13 Prozent. Damit erreicht Jaguar-Landrover dann 850 000 Neuwagenverkäufe (vgl. Abb. 4). Das hätte unter Ford niemand für möglich gehalten.
Zum Ende des Jahres 2014 startet Jaguar-Landrover in China seine erste Produktion gemeinsam mit dem chinesischen Joint-Venture-Partner Chery. Bereits im Financial Year 2013, also vom April 2012 bis März 2013, hatte Jaguar-Landrover 20,6 Prozent seiner Fahrzeuge in China verkauft und dort 32,7 Prozent seines Umsatzes erzielt (vgl. Abb. 5). Das Bemerkenswerte: bisher hat Jaguar- Landrover keine Produktion in China und musste für seine Fahrzeuge 30 Prozent Einfuhrzölle bezahlen. Trotzdem werden in China mehr Fahrzeuge als in jedem anderen Land von dem Unternehmen verkauft. Damit kann man davon ausgehen, dass die zukünftige China-Produktion einen erheblichen Gewinnsprung bei Jaguar-Landrover auslösen wird, denn die Endkundenpreise werden wohl kaum gesenkt werden. Die Fabrik in China wie auch das Werk in Brasilien werden damit das Wachstum weiter beflügeln, denn es besteht Spielraum bei der Preispositionierung bei konstant steigenden Gewinnmargen.
Ohne Scales von Großunternehmen Mustergewinnen Ford hatte im Jahre 2008 Jaguar-Landrover für 2,3 Mrd. US-Dollar an Tata verkauft. Ende 2013 wurde das Eigenkapital von Jaguar-Landrover mit 5,4 Milliarden englischen Pfund im Quartalsbericht des Unternehmens ausgewiesen. Das entspricht bei einem Kurs von 1,60 US-Dollar/GBP 8,6 Mrd. US-Dollar oder einer Verzinsung von mehr als 30 Prozent auf das eingesetzte Kapital. Jeremie Papin von Lehman Brothers in London kommentierte damals „The price paid is surprisingly high“. Nach Lehman Brothers war Jaguar-Landrover damals deutlich weniger Wert und „überbezahlt“.
Noch etwas fällt bei der Analyse von Jaguar-Landrover auf. Das Unternehmen ist mittlerweile profitabler als Audi, wächst deutlich dynamischer, und das all ohne die, von Automanagern immer wieder als so wichtig betonten Scale Economies. Gemäß dem Weltbild des Fiat-Chrysler-Chefs Sergio Marchionne dürfte Jaguar- Landrover gar nicht existieren. Wie ein Besessener läuft Marchionne der Größe hinterher, und die Marke Alfa verkommt. Und für die Welt des Ferdinand Piëch gibt Jaguar-Landrover Rätsel auf. Piëchs Ansatz der Autoindustrie ist von großen Stückzahlen getrieben. Möglichst viel selbst machen, wie etwa eigene Sitzfertigungen, damit ja nicht Wettbewerber in den Genuss von VWScales über Zulieferer kommen können.
Die Gewinne von Porsche wären ohne Scales mit dem VW-Konzern, etwa bei Cayenne, Panamera oder Macan nicht vorstellbar. Und da kommt ein Inder und übernimmt ein Unternehmen, das am Rande des Untergangs stand, und formt mit einer hochprofessionellen Management-Mannschaft ein Bilderbuch-Unternehmen ohne die Audi-Scales, die BMW-Scales.
Jaguar-Landrover ist ein neues Beispiel dafür, dass die Autowelt aus deutlich mehr als Scales besteht und wer nur Scales im Kopf hat, ist mit großem Scheiterungsrisiko unterwegs. Der über Jahrzehnte größte Automobilkonzern der Welt, GM, wäre ohne staatliche Hilfe vermutlich heute nicht mehr existent. Also Jaguar- Landrover liefert Stoff für Management-Case-Studies.

 

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Autorin(nen) / Autor(en):
Direktor, CAR-Center Automotive Research
Universität Duisburg-Essen