Marken, die zum Staunen verführen, heben sich aus der Zuvielfalt heraus

Marken, die zum Staunen verführen, heben sich aus der Zuvielfalt heraus

Warum sollen Marken überhaupt zum Staunen verführen? Sehr gute Frage! Weil wir damit das zentrale Problem heutiger Markenführung lösen: trotz Informations-Tsunami wahrgenommen zu werden.

Ich kenne die „gute alte Zeit“ der Werbung. Da hat die Mediaagentur ausgerechnet, wieviel Budget es braucht, um die Zielgruppe häufig genug mit der Markenbotschaft zu erreichen. Mit einer guten Kampagne haben die Konsumenten die Nachricht auch empfangen. Damals haben die Verbraucher geschätzte 500 Werbenachrichten am Tag serviert bekommen. In TV, Radio, Tageszeitung, Magazin, Plakaten und am PoS. Heute lauten die Schätzungen, dass wir über 10 000 Nachrichten empfangen könnten, was uns total überfordern würde. Deshalb schenken wir Werbung keine Aufmerksamkeit mehr und setzen AdBlocker beim Surfen ein. Ok – auch in der guten alten Zeit war Marketing nicht leicht und der Wettbewerb hart. Aber heute ist es extrem viel schwieriger, die Aufmerksamkeit von Kunden zu gewinnen.

Wie bringt man Erwachsene zum Staunen?

Wir alle kennen Versuche, uns mit besonders lauter, besonders frecher oder gar besonders nerviger Werbung zu überraschen und damit unsere Wahrnehmungsfilter zu überlisten. Das funktioniert selten, weil es zu deutlichen Reaktanzen führt. Und jetzt kommt Staunen neu ins Spiel. Ich habe mich die letzten Jahre mit dem Phänomen des Staunens beschäftigt. Auf die Idee haben mich die Pädagogen gebracht. Wenn es Lehrern gelingt, ihre Schüler ein wenig staunen zu lassen, merken die sich den Lehrstoff besser.1 Und das wollen Marken ja auch, ihre Nachrichten besser bei ihren Zielgruppen zu verankern. Nur, wie bringt man Erwachsene zum Staunen? Und was unterscheidet Staunen von Überraschung?
Wir staunen, wenn zwei Kräfte zusammen kommen: Es gelingt einer Marke mit einem Schemabruch (also durchaus etwas Überraschendem), unsere Werbemüdigkeit zu überlisten – und zu zeigen, dass sich das für uns lohnt. Wir staunen, wenn wir erkennen, dass die Nachricht für uns persönlich relevant ist. Nicht einfach nur neu oder laut. Und so wie Staunen die mächtigere Überraschung ist, gibt es auch für Relevanz eine wirksamere Kraft: die verbesserte persönliche Effizienz. Ein großartiger Motivationstreiber, den der amerikanische Psychologe Tory Higgins2 beschrieben hat. Es hat einige Versuche gebraucht, bis wir die überraschend einfache Formel für wirksames Staunen3 erforscht hatten.

Die Macht der Effizienz begegnet uns auf Schritt und Tritt

Staunen entsteht, wenn uns mittels eines Schemabruchs bewusst wird, dass die Marke uns eine Verbesserung unserer persönlichen Effizienz anbietet. (Für die Psychologen unter uns: die Selbstwirksamkeit steigert.) Und jetzt kommen wir zum zweiten Mal zum Information Overload. Wir haben eine Zuvielfalt in der heutigen Zeit, sodass uns jeder Weg interessiert, wie wir uns das Leben einfacher, leichter, schöner machen können. Unsere gesteigerte Effizienz kann in vielen Bereichen liegen. Es geht uns etwas leichter von der Hand: Waschmittel lässt Wäsche schneller und/oder knitterfrei trocknen. Staubsaugerroboter erleichtern die Hausarbeit.

Staunen entsteht, wenn uns die Werbung mit einem Schemabruch überrascht, und wir dabei etwas erleben, was unsere Effizienz erhöht.

Die Rückfahrkamera erspart uns die Verrenkung. Etwas deutlich billiger zu bekommen, verbessert auch die Selbstwirksamkeit. Denn es steigert die Reichweite des Einkommens. Eine Versicherung der Zukunft nimmt mir im Schadensfall die Arbeit ab und belästigt mich nicht mit einer Formularflut. Die Macht der Effizienz begegnet uns auf Schritt und Tritt. Im Prinzip sind alle Angebote der digitalen Disruption Verstärker unserer Effizienz! Amazon steigert unsere Einkaufseffizienz. Demnächst sicherlich auch bei Lebensmitteln. Wir lieben Lebensmittel, aber nicht das Einkaufen – zumindest meistens nicht. Und Männer schon gar nicht. Wir werden staunen, wie sehr autonom fahrende Autos unsere Effizienz erhöhen werden. Also noch einmal: Staunen entsteht, wenn uns die Werbung mit einem Schemabruch überrascht, und wir dabei etwas erleben, was unsere Effizienz erhöht. Anders gesagt: Eine unserer Lebensknappheiten wird reduziert. Schauen wir uns ein paar Beispiele an:

 

Die lachenden Pferde aus dem VW-Werbespot

Sie sehen Pferde, die sich auf einer Wiese vor Lachen krümmen, während ein zunehmend genervter Fahrer vergeblich versucht, seinen Pferdehänger rückwärts einzuparken. Selbst das Pferd auf dem Hänger brüllt vor Lachen. Das verstummt jäh, als ein Tiguan-Fahrer (mithilfe der Software Trailerassist, einem Rangierassistenten) den Hänger in einem einzigen, eleganten Schwung rückwärts perfekt positioniert. Die genial animierten Pferde sind der kreative Schemabruch, das Feature verspricht die Steigerung der Selbstwirksamkeit eines jeden unerfahrenen Hängerpiloten. Und bewahrt ihn vor Situationen höchster Peinlichkeit.

BVG-Schuh

Das Prinzip funktioniert auch bei Publicity-Aktionen. Die Berliner Verkehrsbetriebe bringen mit Adidas einen limitierten Schuh heraus. Das alleine lässt einen eher nicht staunen. Aber dass der Schuh eine integrierte Jahreskarte enthält schon.

Die Effizienz der Käufer wird gleich mehrfach gesteigert. Wer Glück verwendet – erlebt mehr Genuss. Denn unsere Erwartung beeinflusst unser Erleben.

Das Staunen führt dazu, dass alle Medien über diesen genialen Einfall berichten – und die Schuhe zu hochgehandelten Sammlerobjekten wurden. Was man vom aktuellen Adidas-Schuh in Telekom-Magenta nicht sagen kann. Der lässt mich nicht staunen. Und bekommt deshalb auch keine Sammlerpreise auf eBay.

 

Ein Glas Glück

Zu Marmelade ist alles gesagt? Mitnichten. Göbber bringt die neue Marke „Glück“. Ein Schemabruch, der schon beim Namen anfängt, sich im Glasdesign fortsetzt und natürlich von entsprechend ungesehener Kommunikation begleitet wird. Die Effizienz der Käufer wird gleich mehrfach gesteigert. Wer Glück verwendet – erlebt mehr Genuss. Denn unsere Erwartung beeinflusst unser Erleben. Und gerade Frauen gefällt der Gedanke, anderen ein kleines Glück bereiten zu können. Glück hat, wer Glück hat.