Slow Marketing

Slow Marketing

Was kümmert mich gestern? Das scheint die zunehmende Devise mancher Manager zu sein. Veränderungen und nächste Schritte stehen im Vordergrund. Wer innovativ sein will, muss aber auch geschickt bewahren und weiter entwickeln. Dieser Beitrag zeigt, wie manche Entwicklungen bei Personal und Marketing dazu führen, dass Unternehmen immer wieder aus dem Stand neu beginnen. Mehr Kontinuität und langsameres Marketing wären deshalb oft die guten Empfehlungen.

Es gab in Unternehmen Zeiten, in denen jede Führungskraft einen direkten Stellvertreter hatte. Er war für die Nachfolge vorgesehen. Abtretende Manager übergaben ihre Aufgabe sorgfältig dem Nachfolger und die Neuen wurden gründlich eingeführt. Inzwischen scheinen Verantwortliche davon auszugehen, dass sich alte und neue Stelleninhaber besser kaum mehr sehen sollten. Es wird befürchtet, dass neue Mitarbeitende zu rasch in bestehende Vorgehensweisen verfallen und sie die Fehler der Vorgänger übernehmen und fortführen. Sie sollen unbelastet und frisch an ihr Werk gehen. Manche vernachlässigen aber auch eine Übergabe, ohne bewusst zu entscheiden. Dieses Vorgehen stützt sich implizit darauf, dass jede neue Kraft aus dem Stand Besseres leisten kann, als frühere Mitarbeitende. Damit stützt sich ein Unternehmen nicht auf den Entwicklungsprozess des Unternehmens und von Einheiten, sondern auf individuelle Lernprozesse der Einzelnen und die Selektion. Gleichzeitig ist jedoch darauf hinzuweisen, wie hoch die Quote des Misserfolgs bei der Wahl aus externen Bewerbern ist. Beispielsweise werden besonders im Management die guten Selbstdarsteller überschätzt. Zudem sind neue Mitarbeitende von außen oft besonders abhängig von den bestehenden Leuten und werden rasch vereinnahmt. Dazu sind leichte Anfangserfolge noch lange nachhaltig. 

Wer auf individuelle Lernprozesse setzt, müsste übrigens folgern, dass es solche Mitarbeitende zu halten gilt. Ich glaube aber daran, dass eine Organisation laufend lernen kann. Sie bewahrt das Erfolgreiche, anstatt es zu verlernen und steigert die Professionalität stetig.
Das Phänomen des Wechsels ist vom Top-Management bis zum Mitarbeiter an der Maschine oder dem Sekretariat zu beobachten. Selbst in der Forschung bauen Universitäten nicht darauf, sorgfältig an den Vorarbeiten von langjährigen Forschern anzuknüpfen. Gesucht werden junge, internationale Forscher mit Spitzenpublikationen. Die Synergie zu früheren Arbeiten von Instituten und Lehrstühlen spielt kaum eine Rolle.
Der Vorteil: Die Mitarbeitenden werden mobiler, sie sind vielfältig in verschiedenen Firmen und Positionen einzusetzen. Der Nachteil: Die Fähigkeiten der Mobilen sind begrenzt und schöpfen die Möglichkeiten eines Unternehmens nicht aus.
Bekannt sind die Probleme, die kleinere und mittlere Unternehmen bei der Nachfolge haben. Oft scheint es beispielsweise kaum möglich, die Unternehmer zu ersetzen und manchmal sind mehrere Anläufe nötig. Diese Nachfolgeproblematik ist jedoch nicht nur ein Problem. Gleichzeitig ist sie Indiz dafür, dass es Unternehmern viel umfassender gelingt, ihre Fähigkeiten einzubringen, die Unternehmenskultur und die Marketinglogik zu prägen. Wenn für Konzerne rasch neue Chefs gefunden werden können, so deshalb, weil oft nur allgemeine Managementfähigkeiten genügen. Diese Fähigkeiten nutzen nur einen Teil der Klaviatur, ähnlich einem Pianisten, der nur die schwarzen Tasten bedienen kann.
Es gibt die Unternehmen, die sich stark auf den eigenen Nachwuchs konzentrieren. Es ist Aufgabe der Führungskraft, ihre Mitarbeiter zu entwickeln und für die eigene Aufgabe zu qualifizieren. Damit wird erst die Chance für eine eigene Beförderung geöffnet.

Marketing und Vertrieb

Marketing beginnt beim Kunden. Setzen diese zunehmend auf eine intensive und langfristige Zusammenarbeit? Der Trend scheint eher in der Richtung des raschen Wechsels von Lieferanten zu gehen. In Ausschreibungsverfahren werden die Angebote vergleichbar gemacht und die Preise in Auktionsverfahren optimiert. Auch hier scheinen also neue Lieferanten sofort besser zu sein. Implizite Vorteile der Zusammenarbeit, welche die Gesamtkosten maßgeblich senken können, werden weniger beachtet. Schön lässt sich diese Entwicklung auch bei Pitches für Kommunikationsagenturen belegen. Neue Dienstleister sollen frische Ideen lancieren. Demgemäß wechseln die Kampagnen der Unternehmen oft willkürlich und schlechte Lösungen werden immer rascher wieder abgelöst. Sie sind oft nur schlecht, weil sie ihre Wirkung gar nicht entfalten können. 

Analog lässt sich der Einkauf der Konsumenten bei aggressiven Discountern interpretieren.
Anbieter lernen, mit dieser Situation umzugehen und das Spiel der Einkaufsentscheide mit zu machen. Sie optimieren die Lösungen nach den Ausschreibungen, statt die beste Lösung für Kunden zu entwickeln. Sie optimieren den Einkaufspreis und versuchen, sich nach dem Kauf zu entschädigen; etwa im Service oder bei Ersatzteilen. Sie verlagern ihre Anstrengungen von der Kundenpflege zur Kundengewinnung.
Manche Anbieter beteiligen sich so wenig wie möglich an „Pitches“ und selektionieren jene Kunden, mit denen sie eine langfristige und wertvolle Zusammenarbeit erreichen. Nur verpassen sie damit manche Geschäfte und ihr Markt verkleinert sich. Auch diese Anbieter erklären aber ihren Kunden oft ungenügend, welche Vorteile eine längerfristige und intensive Zusammenarbeit bringt. Sie erklären zu wenig, was ein eigenständiger und kontinuierlicher Weg im eigenen Angebot für Kraft entfesselt. Hier lägen für sie ganz zentrale Marketingaufgaben.
Vielleicht fördert das Beispiel von Jack Daniel’s das Gespür für solche Zusammenhänge.
Es gibt Standardleistungen, die sich bei beliebigen Anbietern kaufen lassen. Wo jedoch die Lernprozesse von Kunden und Anbieter und ihr gegenseitiges Verständnis sowie Vertrauen wichtig sind, ist der rasche Wechsel kontraproduktiv. Besonders komplex ist beispielsweise die Übernahme und Akquisition von Unternehmen. Längst hat sich dort gezeigt, dass der Erfolg nicht nur vom Entscheid abhängig ist, sondern besonders vom nachfolgenden Prozess. Es bliebe also die Aufgabe, zwischen Standard- und Lernangeboten zu unterscheiden.

Fazit

Schnelles Marketing ist meistens oberflächlich, naheliegend und defensiv (Belz 2009, S. 14). Braucht es deshalb nach dem Slow Food und den Vereinigungen für „slow but better living people“ auch ein Slow Marketing? Ich umschreibe Slow Marketing als ein Marketing, welches achtsam mit dem Bestehenden in Unternehmen und bei Kunden umgeht. Es konzentriert sich darauf, was zum Unternehmen passt und die Lösungen werden gründlich entwickelt und sorgfältig umgesetzt (Belz et al. 2010, S. 81 ff.). Die personelle Kontinuität ist dazu eine Voraussetzung. Zugegeben: Einen neuen Begriff braucht es dafür aber kaum.
Ludwig Hasler meinte einmal in einem seiner Vorträge: „Wer flexibel sein will, muss sich festlegen.“ Es genügt nicht, einfach für alles bereit zu sein. Instant-Marketing ist nämlich meistens nur Anfängermarketing; weit entfernt von Kompetenz und Souveränität. Erst die Wurzeln eines Unternehmens oder eines Arbeitsteams schaffen den Nährboden für echte Innovationen. Nur wer etwas beherrscht, ist beweglich für Neues.
Trocken meint Sten Nadolny in seinem Kultroman zur Entdeckung der Langsamkeit (1987): „Es gibt drei Zeitpunkte, einen richtigen, einen verpassten und einen verfrühten“ (S. 41). Und: „Langsam und fehlerlos ist besser als schnell und zum letzten Mal“ (S. 118).
Natürlich bleibt Kontinuität contra Wechsel ein Spannungsfeld, welches es richtig auszuloten gilt. Extreme sind selten richtig. Meine Sicht ist aber: Manche Führungskräfte und Unternehmen übertreiben mit dem Wechsel und schöpfen damit ihre Möglichkeiten nur zu 30 Prozent aus. Zu häufiger Wechsel führt zu Verschleiß. Zudem spart Gründlichkeit auch Zeit: Es ist besser die Dinge einmal, aber richtig zu tun.
Besonders in der Krise ist Vertrauen ein geflügeltes Wort. Vertrauen reduziert die Komplexität, es entlastet und öffnet für Vorteile der langfristigen Zusammenarbeit. Partnerschaft und Win-Win-Situationen zwischen Lieferanten und Kunden werden beschworen. Leider scheint sich aber in Einkauf und Marketing eher das konsequente Vorgehen des Misstrauens zu verbreiten. Misstrauen kann oft rasch Erfolge ausweisen, das entspricht dem Diktat der kurzen Frist (de Weck 2009, S. 47). Langfristig ist das Vertrauen aber der bessere Weg; es kann die Kräfte der Beteiligten nachhaltig mobilisieren.

Institut für Marketing der Universität St. Gallen

Mit rund 28 Mitarbeitenden erforscht das Institut für Marketing der Universität St. Gallen in den Kompetenzzentren die Themen B-to-B-Marketing, Verkaufsmanagement, Dialogmarketing, Messen, Multi-Channel-Management und kooperatives Marketing sowie Marketingperformance (www.ifm.unisg.ch).

Im strategischen Marketing befassen wir uns mit den übergreifenden Themen Innovatives Marketing, Trends/Kundeninformation/Kundenverhalten, Markenführung, Internationales Marketing, Solutionsund Volumengeschäft, Kundenmanagement sowie Marketingführung und -organisation.

Ziel des Institutes ist es, die eigene Forschung und Entwicklung mit führenden Unternehmen und Führungskräften zu verbinden. In allen Bereichen wird der Transfer zudem durch betriebsübergreifende und interne Weiterbildungen sowie die St. Galler Marketing Review (Gabler Verlag) gefördert.

Im Institutsleiterteam wirken mit: Prof. Dr. Christian Belz (Geschäftsführer), Prof. Dr. Sven Reinecke, Prof. Dr. Marcus Schögel, Dr. Walter Herzog, Dr. Michael Reinhold, Dr. Christian Schmitz, Prof. Dr. Dirk Zupancic.

Flankiert werden diese Aktivitäten durch mehrere weitere Institute im Marketingdepartment der Universität St.Gallen. Spezialisten befassen sich in den Instituten für Versicherungswirtschaft, für öffentliche Dienstleistungen und Tourismus und für Banken, für Wirtschaft und Ökologie sowie den Forschungsstellen für Customer Insight und Internationales Handelsmanagement mit Marketing.

 

Quellen

Belz, Ch. (2009): Marketing gegen den Strom, St. Gallen: Thexis und Index.
Belz, Ch. et al. (2010): Marketing in einer neuen Welt, St. Gallen: Thexis.
de Weck, R. (2009): Nach der Krise – Gibt es einen anderen Kapitalismus, München: Nagel & Kimche.
Nadolny, S. (1987): Die Entdeckung der Langsamkeit, München: Piper.
Waldherr, G. (1997): Der langsamste Whiskey der Welt, in: Zeit-Magazin, Nr. 49/1997, S. 23–32.

Autorin(nen) / Autor(en):
Ordinarius für Marketing des Instituts für Marketing an der Universität St. Gallen
Universität St. Gallen