We watch – User generated content

We watch – User generated content

User generated content ist der Dreh- und Angelpunkt der Social-Media-Forschung. Das World Wide Web als natürliche Datenquelle ist ein Traum für jeden Marktforscher: Rekrutierungseffekte sowie negative Einfl üsse durch den Forscher selbst scheinen keine Rolle zu spielen. Wie gesagt, ein Forschertraum ...

Dabei fokussiert die Social-Media-Forschung meist nur textbasierten Content: Es werden Blogs gescreent, Foren ausgelesen, Nutzerprofi le erforscht etc. Doch das World Wide Web ist vor allem ein multimediales Phänomen, in dem wie selbstverständlich alle Arten von Medien präsentiert und genutzt werden: Bilder vom letzten Backpacker- Urlaub in Thailand werden auf Flickr geladen, die neuesten Songfunde postet man auf Facebook und Home-Videos über das Kochen werden auf YouTube gestellt. Alle diese Daten werden bisher von der Marktforschung stiefmütterlich behandelt.
Wie häufi g über ein Thema in welchem Forum „geredet“ wird und in welchem Zusammenhang dies geschieht, ist gut zu wissen, doch nicht der Weisheit letzter Schluss.
Die Erforschung von Social Media hat ein deutlich größeres Potenzial! Die Erstellung von kleinen You- Tube-Clips ist mittlerweile zu einer etablierten Kulturtechnik avanciert – nicht nur unter den „Digital Natives“. Und gerade an diesen Videos wird deutlich, dass das World Wide Web auch ein Ort der (Selbst-)Inszenzierung ist, in dem Konsumenten – neben dem Geschriebenen – weitaus mehr von sich preisgeben.
Was liegt also näher, als GIMs langjährige Erfahrung mit Video-Analysen auf ein neues Feld zu übertragen: YouTube (u.a.) bietet Schätze an Konsumenten- Insights, die wir nun mit Net-Watcher© heben. Diese Methode nutzt mehrstufi ge Verfahren der semiotischen Bild- und Video-Interpretation, um die latenten, vom Konsumenten nicht direkt verbalisierten Botschaften in Online-Videos zu entdecken. So werden ausgewählte Videoclips komplett „de-komponiert“, d.h. in alle Sequenzen aufgeteilt und Stück für Stück in Bild und Ton analysiert und interpretiert. Am Ende werden alle Teilinterpretationen zu einem umfassenden Bild zusammengeführt.
Im Rahmen der GIM-Forschung zum Thema Kochen haben sich mit der Zeit unterschiedliche Kochtypen herauskristallisiert, die anhand von authentischen YouTube-Videos tiefer beleuchtet werden sollten. In einem ersten Schritt wurden anhand relativ konkreter Typenprofile passende Videos in YouTube identifiziert. Anschließend wurde je Kochtyp ein Video analysiert und interpretiert.
Im Folgenden möchten wir die Möglichkeiten der Video-Analyse am Beispiel zweier DIY-Kochvideos auf YouTube zeigen.

Der ambitionierte Hobbykoch

Der ambitionierte Hobbykoch ist in der Regel männlich und befindet sich am Ende seiner beruflichen Laufbahn oder schon im Ruhestand. Die Kochleidenschaft hat sich bei ihm erst mit dem Alter entwickelt. Während des Berufslebens war i.d.R. die Ehefrau für das alltägliche Kochen zuständig. Dieser Typus schaut regelmäßig TV-Kochsendungen und setzt das Gelernte am Wochenende mit viel Zeit und Geduld um. Dazu werden dann auch Gäste geladen, beispielsweise die schon erwachsenen Kinder, die es mit besonderen Menüs zu beeindrucken gilt. Der professionelle Anspruch des ambitionierten Hobbykochs zeigt sich vor allem in der professionellen Küchenausstattung.
So stellte sich dieser Typus aus validierten Ergebnissen der GIM-Forschung dar. Auf Basis dieser Beschreibung wurden nun typengerechte Suchbegriffe definiert und mehrere Videos identifiziert, von denen nun eines besser beleuchtet werden soll:

Coq au Vin mit Spätzle nach dem Rezept eines französischen Sternekochs
Ohne je die Küche dieses Typs betreten zu haben, konnte anhand eines Videos der ganze Typus zum „Leben erweckt“ werden. Gewappnet mit einem semiotisch sensibilisierten Blick, wurden die folgenden Charakterzüge herausgearbeitet.
Das Offensichtlichste zu Beginn: die Küche. Mit dem ausgewählten Bildausschnitt wird eine biedermeierlich wirkende Küche gezeigt, die die stark traditionsbewusste Lebenseinstellung des Protagonisten positiv unterstreicht: Kochgeschirr aus Kupfer, der zentral fokussierte Holz- und Gasherd mit Messing- Reling, klassische Holzlöffel und keine Spur von modernen elektrischen Küchenhilfen.
Darüber hinaus verdeutlicht der Verzicht auf diese elektrischen Alleskönner auch den professionellen Anspruch des Typus: Es kommt nur auf das Können des Kochs an! Moderne elektrische Küchenhelfer würden lediglich die eigene Kochkompetenz untergraben.
Trotz der ausgeprägten „Küchenehre“ des Protagonisten steht er jedoch nicht gerne im Mittelpunkt. Der Bildausschnitt zeigt während des gesamten Filmes – mit Ausnahme der Hände – nichts vom Koch. Vielmehr steht die Kochkunst im Vordergrund der Inszenierung. Diese Fokussierung auf den „Akt des Kochens“ zeigt sich auch in der Länge des Films (ca. 20 Minuten) und in der langsamen Schnittfrequenz: einzelne Einstellungen dauern häufig zwei Minuten oder länger. Daneben verhält es sich auch akustisch ruhig: man vernimmt maximal den Gasanzünder oder das Brutzeln der heißen Pfanne. Alles wirkt ruhig, fast schon zeremoniell!

Der ambitionierte Hobbykoch ist in der Regel männlich und befindet sich am Ende seiner beruflichen Laufbahn oder schon im Ruhestand. Die Kochleidenschaft hat sich bei ihm erst mit dem Alter entwickelt. Dieser Typus schaut regelmäßig TV-Kochsendungen und setzt das Gelernte am Wochenende mit viel Zeit und Geduld um.

Dieser Eindruck verstärkt sich weiter. Obwohl sich dieser Typus gerne bei der Ausübung seiner Kunst über die Schulter schauen lässt, bleibt der Zuschauer im Unklaren über die Tricks und Kniffe des „Meisters“. Die allererste Sequenz zeigt zwar – in Form eines Stilllebens in der Art von Willem Claesz – alle schon vorbereiteten Zutaten ordentlich portioniert, doch der Informationstext auf YouTube verrät weder Mengenangaben noch Zubereitungsanweisungen! Auch verfolgt der Videoclip kein didaktisches Konzept: Einblendungen, wie genau man z.B. beim Spätzleschaben vorgeht, gibt es nicht und verbale Erläuterungen werden tunlichst vermieden. Der Zuschauer darf nur einen kleinen Blick in die Küche des Alchemisten werfen!

 

Der Show-Off Kochnovize

Ganz anders der Typus des Show-off Kochnovizen: Auch er ist i.d.R. männlich, jedoch deutlich jünger als der ambitionierte Hobbykoch. Meist noch in der Ausbildungsphase befindlich, ist das Kochen für ihn eher Nebensache: unter der Woche wird nur selten gekocht und am Wochenende ist Hotel Mama noch die Anlaufstelle für gutes Essen. Die eigene Küche ist daher noch nicht für alle Kochsituationen ausgestattet. Doch ab und an wird auch der Kochnovize zum Küchenchef, v.a. wenn es darum geht, den Freundeskreis zu bekochen. Dann wird auch mal ein Blick auf www.chefkoch.de o.ä. geworfen, um möglichst einfache aber imposante Rezepte zum Nachkochen zu finden.

Im vorliegenden Fall kocht dieser Typus Schweinemedaillons auf mediterranem Gemüse mit Nudeln
Die lockere, studentische Lebenseinstellung dieses Typus manifestiert sich immer und überall während des gesamten Videos. So wird das Video von einem Freund des Kochnovizen gedreht, der jedoch gänzlich auf ein Stativ verzichtet. Alles ist in bester MTV-Manier gefilmt: Wackelkamera, schnelle Schnitte (keine Szene dauert länger als 30 Sekunden), loungige Musik und lockere Sprüche sind die Stilmittel, die dieser Typus für seine Inszenierung wählt. Anders auch als der ambitionierte Hobbykoch, nutzt der Kochnovize so wenig Kochgeschirr wie möglich. Ein Brett und ein Messer müssen ausreichen, um das Fleisch und alles Gemüse zu schneiden. Und einzelne Schalen für die zubereiteten Komponenten braucht es auch nicht. Alles kommt gleich vom Brett aus in den Topf.
Für die Ansprache dieses Typus hochinteressant ist auch die ausgesprochen männliche Haltung des Kochnovizen, der sich als ein „echter Kerl“ versteht, der nicht kleckert, sondern klotzt. So beinhaltet das Essen zwar „mediterranes Gemüse“ als eine Hauptkomponente, doch dominieren zeitlich die Sequenzen, in denen das Fleisch – für die Jungs des Wohnheims – zubereitet wird! Auch wird gerne mal mehr Öl in die Pfanne gegeben oder es werden die Schweinemedaillons dicker geschnitten, „auch wenn die Mädels das bestimmt nicht so gut finden“. Auch seine Inszenierung am Esstisch zeigt die latente Darstellung der Männlichkeit: So ist der Tisch im Wohnheim zwar mit Sektgläsern und weißem Geschirr ordentlich gedeckt, jedoch fehlt es an Kerzen, Untersetzern, Servietten o.ä. Bei aller Inszenierung für die „Mädels“ darf die eigene Männlichkeit nicht untergraben werden!
Eigentlich noch am Anfang seiner Kochkarriere stehend, will der Kochnovize dennoch als Könner erkannt werden – insbesondere von den weiblichen Gästen. Selbst wenn das Nudelwasser überkocht, die Nudel bei der Garkontrolle auf den Boden fällt oder vergessen wurde, die Tomaten zu schneiden, hat dieser Typus einen „flotten“ Spruch auf den Lippen und überspielt diese Situation mit Humor.
Auch wenn dies nur kleine Einblicke in die beiden Kochtypen waren, so wird doch deutlich, dass die Analyse von You- Tube-Clips ein authentisches und v.a. deutlich tieferes Zielgruppenverständnis liefert. Die sich hinter den Inszenierungen verbergenden Einstellungen und Wünsche der Konsumenten können umfassend und ohne den Bias einer Forschungssituation identifiziert werden.

Wackelkamera, schnelle Schnitte (keine Szene dauert länger als 30 Sekunden), loungige Musik und lockere Sprüche sind die Stilmittel des Show-Off Kochnovizen, die dieser Typus für seine Inszenierung wählt. Alles ist in bester MTV-Manier gefilmt.

Die Methode wurde bisher „nur“ als Add-on für klassische Zielgruppenforschung angewandt, um einerseits Zielgruppensegmentierungen zu validieren und darüber hinaus tiefere Insights zu den Segmenten zu generieren. Vorstellbar ist die Methode aber auch im Kontext kulturvergleichender Studien. So können relativ leicht Videos aus unterschiedlichsten Ländern hinsichtlich ihrer latenten Botschaften verglichen werden und erste Annahmen/ Hypothesen zu Länderunterschieden getroffen werden. Natürlich eignet sie sich auch hervorragend, um einfach nur unverzerrte Einblicke in die alltägliche Nutzung von Marken und Produkten zu bekommen. Darüber hinaus ist die Methode relativ kosten- und zeiteffizient umsetzbar. Es ist keine aufwendige Rekrutierung und Incentivierung notwendig, die Fallzahlen lassen sich auf einem überschaubaren Level halten, insbesondere durch die kontrollierte Auswahl des Datenmaterials in Zusammenarbeit mit dem Kunden.
Gerade vor dem Hintergrund einer stark wachsenden DIY-Kultur (in fast allen Produktkategorien und zu fast jedem Thema), bei der die Vermittlung von Kompetenzen über YouTube-Videos eine zentrale Rolle spielt, bietet Net-Watcher© ein großes Potenzial. Let’s watch YouTube!

Bilder zum Artikel:
Autorin(nen) / Autor(en):
Research Manager
GiM (Gesellschaft für Innovative Marktforschung)
Research Manager
GiM (Gesellschaft für Innovative Marktforschung)