Wie man neue Markensysteme aufbaut und stärkt

Wie man neue Markensysteme aufbaut und stärkt

Unsere gesamte Welt einschließlich der Wirtschaft ist in einer kaum jemals dagewesenen Umbruchsituation. Durch die Globalisierung und Digitalisierung entstehen viele neue Chancen, aber auch Verwerfungen, die heute noch nicht überschaubar sind. Für Unternehmer ergibt sich allerdings die besondere Herausforderung, die veränderten Rahmenbedingungen frühzeitig wahrzunehmen und aktiv zu gestalten.

Dabei begibt man sich mitunter in „unbekannte Felder“, die herausragende wirtschaftliche Chancen beinhalten können. Trotz aller Unwägbarkeiten lassen sich allerdings Gesetzmäßigkeiten und Regeln erkennen, die beim Aufbau neuer Leistungskörper, das heißt Marken, zu beachten sind, will man sich erfolgreich in hochkompetitiven Verdrängungsmärkten positionieren. Die Markenentwicklung von AIDA, A-ROSA und a-ja sind hierfür besonders lehrreiche Beispiele.
Die Ansicht, dass wir in einer Welt leben, in der es von allem und jedem zu viel gibt, egal, ob im Bereich der Produkte oder der Dienstleistungen, egal ob Business to Business oder Business to Consumer, ist weit verbreitet – sie ist aber empirisch nicht haltbar. Jahr um Jahr werden neue Produkte und Dienstleistungen erdacht, zur Marktreife gebracht und schließlich gewinnbringend verkauft. Auch wenn nicht alle Neuangebote bestehen bleiben, so ist es erstaunlich, wie viele Leistungen neue Märkte erschließen. Die Warenwelt befindet sich in einem permanenten Wandel. Deshalb gilt: Neue Produkte bedürfen auch neuer Marken.
Zunächst ist die entscheidende Frage zu beantworten: Was ist eine Marke? Meine Antwort lautet:

  • Marke ist (auch im übertragenen Sinn zu verstehen) nicht Verpackung, sondern Inhalt, auch wenn die Verpackung zur Erkennung der Marke und des Inhalts wichtig ist.
  • Marke ist Produkt oder Dienstleistung, nicht Unternehmen (der Kunde will im Normalfall kein Unternehmen kaufen, sondern Produkte), umgekehrt, Produktmarken können zu Dachmarken werden wie bei Coca-Cola, Red Bull, AIDA, Milka.
  • Marken werden nicht geliebt und sind keine Persönlichkeiten, sondern Marken werden akzeptiert, sind begehrlich. Klar gesagt: Objekte können maximal sympathisch sein.
  • Marke ist keine Werbung und wird nur durch ihren Inhalt zu einer solchen.
  • Zusammengefasst: Marke ist ein positives Vorurteil.
Alte Stärken neu interpretieren

Wie gelingt es, Marken innerhalb kurzer Zeiträume aufzubauen und in den Köpfen der Menschen zu verankern? Das Beispiel „AIDA“ kann hier als Blaupause dienen: Als ich mit einem Partner 1993 eine der größten Privatisierungen in der ehemaligen DDR über die Treuhandanstalt durchführte, haben wir ein Unternehmen übernommen, was auf der einen Seite seine Märkte verloren und auf der anderen Seite eine Vielzahl von Mitarbeitern mit guter Ausbildung und Kompetenzen hatte. Wir mussten insoweit das Unternehmen neu erfinden und uns Märkte suchen, wo wir noch eine Chance hatten.

Da Anfang der 1990er-Jahre größtenteils alle Märkte aufgeteilt waren, gab es hier nur geringe Möglichkeiten, um noch irgendwelche Nischen oder Lücken zu besetzen. Dies war der immer in Deutschland vernachlässigte – das trifft auch heute noch zu – Bereich des Tourismus, der nachweislich zu den drei größten Wirtschaftsbereichen in unserem Land gehört.
Bereits seit den 1980iger-Jahren war es mein Ziel, den Kreuzschifffahrt- Tourismus zu sozialisieren und ihn breiten Schichten der deutschsprachigen Bevölkerung zugänglich zu machen. Dies insbesondere, nachdem ich viele Gespräche mit dem amerikanischen Kreuzfahrtpionier Ted Arrison (Carnival) geführt und er mir eine Partnerschaft angeboten hatte.
Es galt viele Hürden zu überwinden. Die wichtigste war nicht weniger als die Veränderung kultureller Muster: Kreuzschifffahrt galt zu Recht als teuer, alt, verstaubt und wenig innovativ. Klar gesagt: Kreuzfahrten waren kein typisches Urlaubsprodukt.

Wie verändert man die öffentliche Meinung für ein ganzes Segment?

Marke ist zunächst einmal ein konkret erfahrbarer Sachverhalt. Menschen nehmen Marken nicht als Image-, sondern als Leistungsbündel wahr. Dazu zählen sowohl der Name als auch die äußere Erscheinung – beide mussten anders sein, als bisher in der Kreuzschifffahrt üblich. Das Ergebnis war, dass wir zunächst einen Namen in bunten Farben (weit vor Google) auswählten, der mit A begann und mit A aufhörte und damit phonetisch sympathisch war, in allen Ranglisten weit vorne stand und die Unternehmenstradition der DSR fortsetzte (Arkona, Astra). Hinzukam eine aufsehenerregende Bemalung: Kussmund, Augen und Wellen sollten deutlich machen, dass wir Urlaubsmacher waren.

 

 AIDA hat die wesentlichen Produktinhalte auch immer durchgehalten, sodass was von AIDA erwartet wurde, auch in AIDA drin war.

Die größte Herausforderung war, wie man mit einem Wort als Untertitel zum Namen klar machen konnte, dass man anders als die teure exklusive Kreuzschifffahrt ist. Mit dem einfachen Begriff „AIDA – das Clubschiff“ verstand das Publikum unseren Anspruch sofort. Dies ist ein typisches Merkmal einer guten Marke, mit einem einzigen Begriff nicht nur sich, sondern auch seine Inhalte am Markt zu positionieren.
Ganz wichtig für die Stärke der Marke AIDA (das Unternehmen ist durch die Marke bekanntlich eins der besten, wenn nicht überhaupt das bestverdienende touristische Unternehmen weltweit) war, dass die wesentlichen produktentscheidenden Inhalte sich bis heute, d. h. bis zum zwölften Schiff und 20 Jahre in ihrer Grundstruktur kaum geändert haben. So hat AIDA die wesentlichen Produktinhalte auch immer durchgehalten, sodass was von AIDA erwartet wurde, auch in AIDA drin war.

 

Entstehung der Marke A-RO SA

Wie angedeutet, musste sich die Deutsche Seereederei aufgrund ihrer verlorengegangenen Märkte, aber auch bedingt durch die gesamtwirtschaftliche Entwicklung von einem maritimen und stark schifffahrtsgeprägten zu einem Hospitality-Unternehmen weiterentwickeln.
Wieder war eine dezidierte Analyse der bestehenden Marktbedingungen (nicht wie heutzutage der gewünschten ...) die Grundlage für unser Handeln. Das Ergebnis war eindeutig: Die größten Wachstumsbereiche im Tourismus sind im deutschsprachigen Raum:

  • der sogenannte Städte- und Event- Tourismus
  • der Wellness- und Spa-Tourismus
  • die Kreuzschifffahrt.

Wir definierten die Aufgabe, sich nach erfolgreicher Positionierung in der Kreuzschifffahrt nun in den beiden ersten Bereichen zu positionieren und die Marktführerschaft zu erzielen. Mit der erfolgreiche Neuentwicklung in der Flussschifffahrt hatten wir mit A-ROSA eine Evolution dieses vernachlässigten touristischen Zweigs erreicht. Was war in diesem Segment besonders?

  • Ein Pauschalreise-Produkt auf Flüssen
  • Zwölf Monate Leistungsangebot (vor A-ROSA fuhr die Flussschifffahrt im deutschsprachigen Raum nur acht Monate im Jahr, dann wurden die Schiffe aufgelegt, ein volkswirtschaftlich und betriebswirtschaftlicher Nonsens).
  • Es wurde das erste Mal auch auf Flussschiffen ein Spa- und Wellness- Bereich mit Panorama-Saunen, Kleinschwimmbädern, etc. angeboten.
  • Auch die Abläufe mit hochklassigen Buffetrestaurants, Entertainment, etc. wurde nun auch auf Flüssen angeboten.
A-RO SA — Kreuzfahrtschiffe an Land

Der Erfolg war groß, das Publikum verjüngte sich und das Marktsegment wuchs extrem und hat sich seit dem Eintritt von A-ROSA mehr als verdoppelt. Bei diesem Vier-Sterneplus- Projekt wurde weiterhin ein Transfer von der berühmten A-ROSA blu eben auf diese Flussschiffe mit Lust auf Schiff transferiert. Ausgehend von der Gesamtmarktanalyse und bezogen auf die beiden größten Marktsegmente im Tourismus, Stadt-Event-Tourismus sowie Spa/Wellness ergab sich die Frage, ob man die Erfahrungen des Schifffahrts-Markenaufbaus an Land transferieren konnte. Mit aussagekräftigen Analysen im Hintergrund brachten wir im Highend-Bereich (vier bis fünf Sterne) für den Spa- und Wel lness-Tourismus konzipierte A-ROSA mit dem Untertitel, „Resorts und Hideaway“ auf den Markt.
A-ROSA Resort und Hideaways ist von Gründung an ein echtes Urlaubsprodukt und hat viele Merkmale der Kreuzschifffahrt wieder an Land gebracht. Die besondere Kunst war vor allem auch die interne Realisierung eines neuen Konzepts. Meine Erfahrung ist, dass sich Führungskräfte nur allzu oft damit schwer tun, wenn keine „Branchenstandards“ bestehen und erst ausgearbeitet werden müssen. So verabschiedeten wir uns kurzzeitig aus der Gedankenund Produktwelt unserer Gruppe und gingen den Weg zu einem zwar modernen, aber doch letztendlich „Grandhotel“, was dazu führte, dass wir damit auch die üblichen Belegungen und Probleme mehr oder weniger aller Grandhotels im deutschsprachigen Urlaubsbereich bekamen.
Entscheidend war, diese Fehlentwicklung zu erkennen und zurückzudrehen: Ich habe z. B. größtenteils die inzwischen überall vorhandenen Sterne-Restaurants wieder aufgelöst und andere merkliche Eingriffe getätigt bis hin zu einer touristischen Preisstruktur.
Die Umstellung ist nahezu abgeschlossen mit dem Ergebnis, dass wir heute mit dem A-ROSA-Konzept mit fast 80 Prozent Jahresdurchschnittsbelegung über alle Häuser, den höchsten Preisen in der Branche, unsere Führungsposition nicht nur zurückerobert, sondern ausgebaut haben. Mit einem wirtschaftlichen Konzept und einer irritationsfreien Positionierung der Marke können wir nun in eine noch größere Expansionsphase eintreten: mit drei Produkten unter einer Marke, die jedoch alle immer Resort-Urlaub darstellen:

  • „A-ROSA Resort“ für Ferien in den üblichen Urlaubsgebieten „A-ROSA Resorts“ in den Städten (Resort-Urlaub am Feierabend statt Businesshotel)
  • „A-ROSA Hideaways“, kleine Objekte im A-ROSA-Style, vornehmlich „adults only“.
Wie Marken stark werden

Zusammengefasst ergeben sich aus den Erfahrungen folgende Erkenntnisse:

  • Der Genetik der Marke folgen
    A-ROSA war und ist ein Paradebeispiel, wie gefährlich es ist, den Weg von klar definierten Inhalten einer Marke zu verlassen. Es ist entscheidend nachzuvollziehen, dass Marken schon nach kurzer Zeit ein Eigenleben mit spezifischen Ge- und Verbotsstrukturen entwickeln, denen man selbst als Eigentümer nur noch dienen kann – will man den Wertschöpfungsmechanismus nicht aufs Spiel setzen. Die Besonderheit ist allerdings, dass der Eigentümer/Manager der Marke in der Anfangszeit die Inhalte definieren muss und konsequent beibehält. Anpassungen an den Zeitgeist sind wichtig, aber sie müssen stets die Genetik der Marke widerspiegeln.
  • Zusageverlässlichkeit
    Heutzutage wird oftmals vom Vertrauen gesprochen, dass die Kunden einer Marke entwickeln sollen. Vertrauen ist herrlich unkonkret. An sich meint man ganz simpel, dass die Marke die erwarteten Leistungsinhalte auch tatsächlich erfüllt, aus einer Familie und auf Basis einer Grundphilosophie. Zusageverlässlichkeit nennt es die Markensoziologie. Oder: Vertrauen entsteht immer aus Vertrautheit.
  • Die Kraft des Konkreten
    Es ist erstaunlich, wie scheinbar kleine Dinge, für eine Marke, extrea me Auswirkungen haben können: So war es bei A-ROSA über einige Jahre üblich, dass es kostenfrei Kaffee und Kuchen nachmittags gab. Auf dem Weg zum Grandhotel wurde dies natürlich abgeschafft. Durch diese Kleinigkeit, die vielleicht im Umsatzbereich für die gesamte Gruppe bei 200 000 Euro und im Ergebnisbereich bei vielleicht 100 000 Euro lag, verlor das Resort über 15 Prozent Belegung. Man sieht hier deutlich, wie oft Details Markenkerne sind, die bei einer Veränderung erhebliche Auswirkungen haben. Demgegenüber wird die Relevanz von Werbung weitgehend überschätzt, da sie keine unmittelbare Erfahrung mit der Marke schafft.
  • Die Glaubwürdigkeit
    Es muss dem Unternehmen die Kompetenz bedingungslos zugesprochen werden, dass es auch die Bereiche, wo es mit Marken auf dem Markt auftritt, auch wirklich abdecken kann (z. B. in der Automobilindustrie mit unterschiedlichen Klassen und Produkten, aber eben Autos, in der Kosmetik mit unterschiedlichen Produkten, aber eben Kosmetik, und so bei uns mit unterschiedlichen Urlaubsund Hospitality-Produkten, aber eben Urlaub und Hospitality).

Es reicht nicht aus, in Bilanzzeiträumen zu denken, sondern man muss – will man nachhaltig wirtschaften – weit darüber hinaus agieren.

Erfahrungen für die neue Marke a-ja

A-ROSA ist heute die Highend-Marke für Spa-, Wellness- und Stadt- Event- Urlaub. Dieses Marktsegment ist für circa zehn bis 15 Prozent der Bevölkerung unseres Quellmarkts (120 Mio.) preislich erreichbar. Der Wunsch, einen ähnlichen Urlaub zu verbringen, ist allerdings für weitaus größere Zielgruppen relevant. Die unternehmerische Aufgabe war es daher, ein Angebot zu schaffen, das für circa 80 Prozent der Bevölkerung preislich erreichbar ist. Wir haben umfangreiche Marktuntersuchungen angestellt mit der Frage, zu welchem Preis wir ein Produkt ähnlich wie A-ROSA anbieten können, um eben diese 80 Prozent zu erreichen. Wir haben über fünf Jahre an einem solchen Produkt gearbeitet und in die gesamte Entwicklung über zehn Mio. Euro investiert, bevor wir auf den grünen Knopf gedrückt haben.
Es ist „a-ja“ herausgekommen. Ein Vier- bis Vier-Sterne-plus-Objekt an Standorten und mit einer Angebotsstruktur, die es bisher maximal in den Wintermonaten in der Türkei oder Nordafrika gab. Sicher ist, dass wir auf Basis der oben aufgeführten Erkenntnisse und Erfahrungen diese Marke entwickeln werden. Sicher ist aber auch, dass starke Marken auch in Zeiten der Digitalisierung Zeit benötigen. Es reicht nicht aus, in Bilanzzeiträumen zu denken, sondern man muss – will man nachhaltig wirtschaften – weit darüber hinaus agieren. Denn starke Marken sind immer soziale Phänomene, die betriebswirtschaftliche Auswirkungen haben, auch wenn viele Manager genau das Gegenteil behaupten.

 

Bilder zum Artikel:
Autorin(nen) / Autor(en):
Deutsche Seereederei
Markenexperte
Büro für Markenentwicklung, Hamburg