Alles hat seinen Preis – Social- Media-Monitoring und klassische Marketingforschung ergänzen sich, ersetzen können sie sich nicht

Alles hat seinen Preis – Social- Media-Monitoring und klassische Marketingforschung ergänzen sich, ersetzen können sie sich nicht

Stephan Thun, EVP, Managing Director Maritz Research Europe, stellt die Frage: „Ist künftig damit zu rechnen, dass klassische Marktforschung durch Social- Media-Monitoring als primäre Quelle für Consumer-Insights ersetzt werden?“

In der Tat ist dies eine Frage, die sich viele Marketingmanager und Marktforscher zunehmend stellen. Keine Frage, sie spüren den Reiz einer scheinbar unerschöpflichen und kostengünstigen Quelle für Kunden-Feedback. Aber welche Nachteile und Fehlerquellen sollte man kennen?
Kürzlich habe ich auf einer Konferenz einen Workshop geleitet, der sich mit der Integration von Daten aus Social Media und klassischen Umfragen befasste. Wir haben die Frage diskutiert, ob in drei Jahren Daten aus sozialen Medien die primäre Quelle für KundenFeedback sein werden, auf die Organisationen zurückgreifen, um Marktinformationen zu gewinnen. Im Raum war man geteilter Meinung. Alle stimmten jedoch überein, dass jede Quelle ihre Stärken und Schwächen hat. Womit sich die Diskussion auf die Frage verlagerte, wie man Daten aus verschiedenen Quellen zusammenführt, um den Informationswert zu erhöhen.
Ich war erstaunt darüber, dass unter den im Raum vertretenen Firmen nur ganz wenige über eine formale Strategie zur Gewinnung von Consumer-Insights aus sozialen Medien verfügten. Ganz zu schweigen davon, wie sie mit Ergebnissen aus der klassischen Marktforschung kombiniert werden können. Wir haben zwei Ansätze zur Kombination von Studienergebnissen diskutiert: eine „Durchdachte Synthese“ und eine „Analytische Integration“.
Analytische Integration ist ein Ansatz, viele unterschiedliche Datenquellen – wie die Ergebnisse aus Umfragen, Kommentare aus sozialen Medien, Verbraucherbeschwerden und -anregungen, die z.B. über eine Kunden-Hotline eingehen, und z.B. Daten aus Mitarbeiterbefragungen, Mystery Shopping oder Audits – zu kombinieren. Analytische Integration bedingt die Wahl der richtigen Analyseebene, die Entwicklung gemeinsamer Kategorien und Mapping-Strukturen, den Abgleich und die Gewichtung unterschiedlicher Datenquellen, die Bewertung von Konvergenz und Divergenz einbezogener Daten und die Verdichtung der Erkenntnisse hin zu kommunizierbaren Ergebnissen. Die Analytische Integration kann zu sehr effektiven Erkenntnissen führen, ist aber auch relativ zeitaufwendig und ressourcenintensiv.
Auf einer weniger exakten Vorgehensweise beruht die „Durchdachte Synthese“. Sie beschreibt, was die meisten Leute schon seit einer ganzen Weile tun: Hierbei geht es darum, zwei Informationsquellen nebeneinander zu halten und ihnen sinnvolle Schlussfolgerungen zu entnehmen. Aber auch dies ist einfacher gesagt als getan – unterschiedliche Quellen sind nämlich oftmals auf ganz unterschiedliche Weise für verschiedene Fragen relevant. Einige unserer Kunden haben begonnen, sich ihre Informationsquellen um das Konzept der Durchdachten Synthese herum zu sortieren und zu arrangieren. Sie gestalten ihre Studien, ihre Vorgehensweise bei der Kategorisierung von Verbraucherbeschwerden und bei der Sichtung von Daten aus sozialen Medien so einheitlich, dass es im weiteren Verlauf leichter fällt, die Erkenntnisse aus den verschiedenen Quellen zu vergleichen, um ein sinnvolles Gesamtbild abzuleiten.

Verschiedenen Quellen: Wenn es zu gegensätzlichen Aussagen kommt

Doch selbst wenn sie den für sich besten Lösungsansatz gefunden haben, kommt es immer wieder zu echten Herausforderungen. Nicht selten zeigt sich eben kein einheitliches Bild bei der Integration und Interpretation der Daten aus verschiedenen Quellen. Auf welche Daten sollte man sich dann verlassen? Schließlich kann eine Fehlinterpretation zu kontraproduktiven Aktivitäten und unsinniger Ressourcenallokation auf ineffiziente Maßnahmen führen. Als ich die Workshop-Teilnehmer fragte, was sie in solchen Situationen uneinheitlicher Ergebnisse tun, zeichnete sich eine Antwort dahingehend ab, dass in diesen Fällen über die relative Validität der Quellen debattiert werden muss, aber kaum konkrete Schlüsse gezogen werden können.
Hierzu ein Beispiel eines unserer Hotelkunden, das sehr unterschiedliche Ergebnisse bei der Analytischen Integration von Umfragedaten und Feedback aus sozialen Medien zeigt:
Wie aus der Tabelle ersichtlich wird, war die Kundenzufriedenheit aus Umfrageergebnissen bei einem bestimmten Hotel in allen Kategorien sehr groß, wohingegen die Web-Ratings schlecht ausfielen. Im Workshop wurden dafür folgende Erklärungen geboten: „Die Leute, die Web-Ratings abgaben, waren für das Gästeprofil nicht repräsentativ“, „die Website für die Ratings enthält vielleicht einen Fehler“ und „der Hotelmanager hat die Umfrageergebnisse für die Kundenzufriedenheit manipuliert“.
Tatsächlich war in dem Hotel vor über einem halben Jahr ein Problem im Rahmen von Renovierungsarbeiten aufgetreten (Arbeiten am Gebäude, im Sanitärbereich und bei der Elektrik). Gäste hatten ihre Unzufriedenheit über die Störungen während der drei Wochen dauernden Arbeiten im Internet zum Ausdruck gebracht. Da die Kommentare auf dem bekannten Reiseportal aber kein Datum enthielten, waren sie nicht einem bestimmten, begrenzten Zeitraum und damit den konkreten Renovierungsarbeiten zuzuordnen. Stattdessen machten sie nach wie vor einen überproportional großen Bestandteil der Kommentare und Kritiken auf der Website aus. Die mangelnde Repräsentativität bezieht sich in diesem Fall also eher auf einen Zeitfaktor als auf das Gästeprofil.
Dies ist ein gutes Beispiel dafür, dass man vorsichtig sein muss, wenn Informationen, die im Internet quasi „umsonst“ zugänglich sind, ungefiltert mit Umfrageergebnissen vermischt werden sollen oder gar zur alleinigen Beurteilung der Kundenzufriedenheit herangezogen werden. Mögliche Ersparnisse in der Datenerhebung können sich hier in der Gesamtbetrachtung schnell in Mehrkosten gegenüber der klassischen Erhebung drehen, wenn man berücksichtigt, dass unter Umständen kontraproduktive oder ineffektive Maßnahmen abgeleitet werden.

Befragung und Social-Media-Monitoring: Entweder – oder?

Wenn Kunden-Feedback aus sozialen Medien und aus traditionellen Befragungen nicht die gleiche Sprache spricht, stellt sich also die Frage: Was ist richtig – oder was kommt der Wahrheit näher? Das o.g. Beispiel verdeutlicht, wie wichtig eine behutsame, kontextbezogene Vorgehensweise im Rahmen der Analytik ist.
In zahlreichen Analysen, die klassische Umfragedaten und Feedback aus sozialen Medien beinhalten, stoßen wir sowohl auf Ähnlichkeiten als auch auf signifikante Unterschiede. Insgesamt gesehen, korrelierten die meisten unserer Studien und Web-Ratings mäßig gut. Kategorien, die in einem Bereich gut bewertet waren, waren dies häufig auch im anderen. Allerdings fiel die Bedeutung einzelner Elemente der Kundenzufriedenheit unterschiedlich aus. War z.B. in Studien- Stichproben der Service der für die Kundenzufriedenheit einer Handelskette wichtigste Faktor und die Bewertungen für den Service relativ hoch, so war bei Web-basierten Stichproben die Produktvielfalt der wichtigste Faktor, und die Noten für die Produktvielfalt waren relativ niedrig. Somit sollten die aus diesen beiden Informationsquellen zu ziehenden Schlussfolgerungen sehr unterschiedlich sein – und eine sorgfältige Analyse unter Berücksichtigung sämtlicher Daten zur besten Prioritätenbildung führen.

Vorteile klassischer Befragungen

Erhebungsdaten weisen gegenüber Erkenntnissen aus sozialen Medien viele Vorteile auf. Die Steuerbarkeit der Stichprobe, die Kenntnis von Kontext, Zeitpunkt und Repräsentativität sind einige der zu nennenden Vorteile. Außerdem sehen wir immer wieder, dass Web-Inhalte von einem nur sehr kleinen Teil einer Kundengruppe stammen können oder gar – durch mangelnde Rückverfolgbarkeit häufig nicht nachvollziehbar – von PR-Agenturen, Mitarbeitern, die eigentlich bewertet werden sollen, selbst etc. Klassische Erhebungen ermöglichen es uns, konkrete Fragen zu stellen, um an Informationen zu gelangen, die mit den spezifischen Problemen in Zusammenhang stehen, auf die Unternehmen eingehen müssen. Wir können die Robustheit der Stichprobe überwachen, was Auftraggeber in die Lage versetzt, bestimmten Einheiten (wie etwa einzelnen Bankfilialen oder Kfz-Betrieben) Ergebnisse zuzuweisen und entsprechend zu managen.

Vorteile Social Media

Auch Daten aus sozialen Medien weisen im Vergleich mit traditionellen Studien einige spezifische Vorteile auf. Social Media macht es möglich, aufkommende Trends zu identifizieren, die uns rechtzeitig über bevorstehende Entwicklungen in Kenntnis setzen. Hier können Themen aufkommen, für die in traditionellen Befragungen schlichtweg „kein Platz“ war und an die bei der Fragebogengestaltung nicht gedacht wurde. Das Web ermöglicht zudem ein „tiefes Eintauchen“ in Themen, die im Rahmen klassischer Umfragen als relevant identifiziert wurden, sodass die gegebenenfalls entstehenden Probleme besser verstanden werden können. Kommentare in sozialen Medien sind außerdem häufiger von gefühlsbetonter Ausdrucksweise geprägt, was Einsichten in die Emotionalität der als relevant ermittelten Themen ermöglicht. Und es verschafft die Möglichkeit des Wettbewerbsvergleiches, da Kommentare zu Wettbewerbern ebenso zugänglich sind. Geht es z.B. bei identifizierten Problemen nur um mein Unternehmen oder handelt es sich um ein Branchenproblem? Kann ich durch die Lösung des Problems daher einen Wettbewerbsvorteil erzielen oder muss ich eine Lücke zum Wettbewerb schließen?

Fazit

Beide Informationsquellen können harmonisch und zum gegenseitigen Nutzen eingesetzt werden. Die alleinige Nutzung sozialer Medien zur Ableitung von Aktivitäten und entsprechender Verteilung von Ressourcen kann äußerst ineffizient und gegebenenfalls kontraproduktiv sein. So verlockend es also für viele Unternehmen sein mag, Daten die „umsonst im Internet verfügbar sind“ zu nutzen, so teuer können falsche Maßnahmenableitungen auf Basis unzureichender Datenmengen bzw. Datenqualität sein. Die Nutzung sozialer Medien allein ist daher in aller Regel nicht ausreichend. Die zusätzliche, systematische Verwertung von Daten aus sozialen Medien kann aber zusätzliche Insights generieren, die zu mehr Verständnis und daher zu einer besseren Maßnahmenableitung führen. Informationen aus sozialen Medien können ein Problemfeld aufzeigen, dem im Rahmen eines klassischen Umfrage- Trackings bislang nicht nachgegangen wird, das aber anschließend der Studie hinzugefügt werden kann, um ein robustes Verständnis über das Ausmaß des Problems zu gewinnen. Richtig genutzt, stellen klassische Marketingforschung und Social-Media-Monitoring Unternehmen komplementäre Perspektiven zur Verfügung, die zu besserem Verständnis und daher effektiverer und effizienterer Ableitung von Verbesserungsmaßnahmen genutzt werden können. Statt uns auf herkömmliche Studien oder soziale Medien zu verlassen, sollten wir Daten aus beiden Quellen aufgreifen und einsetzen.

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Autorin(nen) / Autor(en):
Managing Director Europe bei Maritz Research
Maritz Research