Kundenverluste angehen

Kundenverluste angehen

Der Kunde macht immer mehr selbst. Manche seiner Projekte versanden einfach. Auch erfassen manche Anbieter die vorhandenen Kundenprojekte in ihrem Markt unvollständig. Erst nachträglich erkennen sie einige der verpassten Geschäfte. Es lohnt sich, diese Herausforderungen in Marketing und Vertrieb im B-to-B-Geschäft anzugehen. Oft ist es ergiebiger, sich darum zu kümmern, dass Kundenprojekte nicht versanden, als den Wettbewerbern Kundenprojekte abzujagen.

Kunden kümmern sich oft nicht um Produkte und Services, obschon ein Kauf für sie Sinn machen würde. Besonders bei innovativen Angeboten und Lösungen dürfte der Anteil hoch sein und nicht selten mehr als die Hälfte der Kunden betreffen. Einerseits erkennen sie die Chancen des Kaufs zu wenig, andererseits sind sie vielfältig engagiert und vernachlässigen auch ergiebige Beschaffungen. Manchmal ist in Kundenunternehmen auch einfach die Zuständigkeit unklar.
Bei ihren Beschaffungsprojekten legen die Kunden inzwischen rund 60 Prozent des Weges zum Kauf selbstständig zurück (Schwarz/von Deschwanden 2016, S. 46). Sie informieren sich im Internet, bewegen sich unerkannt auf Messen oder tauschen sich mit weiteren Kunden und Beratern aus. Ihre Anforderungen definieren sie selbst und schließen damit teilweise auch attraktive Lösungen von Anbietern aus.
Meistens nehmen die Kunden nach ihren eigenen Schritten den Kontakt mit mehreren potenziellen Anbietern auf. Dabei formalisieren Kunden im B-to-B-Geschäft den Einkaufsprozess zunehmend stärker. Sie stützen sich häufiger auf Ausschreibungen (Belz/Reinhold 2014) bis E-Procurement.
Allerdings verfolgen potenzielle Kunden auch Projekte, an denen sich nur Konkurrenten, aber nicht das eigene Unternehmen beteiligen. Oft wird erst nachher bewusst, dass Wettbewerber einen Auftrag realisierten.
Der Kunde wählt in einem aufwendigen Prozess seinen Lieferanten aus. Die eigene Trefferquote für Angebote ist verschieden und kann beispielsweise 35 Prozent betragen (zur Trefferquote vgl. Belz 2016b), während die Wettbewerber den Zuschlag für 25 Prozent der Projekte gewinnen. Es bleibt ein beachtlicher Teil von 40 Prozent. Er betrifft Beschaffungen des Kunden, die er versanden lässt, abbricht oder auf unbestimmte Zeit verschiebt.

Fragen und Lösungen

Die aufgezeigten Herausforderungen führen zu grundsätzlichen Fragen. Die Antworten dazu greifen recht weit. Deshalb begrenzen wir uns auf wenige Akzente (die Nummern der Eingriffe entsprechen der Abbildung):

1. Attraktivität der Beschaffung: Wie kann der Kunde unterstützt werden, dass er seinen relevanten Bedarf erkennt und deckt?

Die verantwortlichen Personen bei Kunden befassen sich häufig auch mit attraktiven Beschaffungen und Investitionen nicht. Hier gilt es, die Ursachen zu analysieren und anzugehen.

Der Zugang zu den Entscheidern und Beeinflussern bei attraktiven Kunden ist eine wichtige Hürde.

Für wichtige Themen des Kunden lässt sich vorausgehen. Ein „Agenda Setting“ mit Studien, White Papers, Präsentationen, Success Stories (inkl. Kurzfilmen), Interviews, Fachartikeln, Kundenzeitschriften, Blogs bis zu Messen und Kundenevents ist möglich. Es gilt, am relevanten Nutzen des angestrebten Kunden anzusetzen und in seiner Sprache zu formulieren. Wichtig ist es, jene Personen bei Kunden zu erreichen und Beziehungen aufzubauen, die ein aktives Interesse an der Beschaffung haben müssen und sie beeinflussen. Um den Bedarf zu klären, helfen beispielsweise neutrale Vorprojekte, Konfiguratoren, grobe Wirtschaftlichkeitsberechnungen, Checklist oder separat angebotene Vorevaluationen. Ziel ist es, die Relevanz der Beschaffung substanziell zu erklären und zu belegen. Die Kundenvorteile werden erlebbar gemacht.
Immer spielt es dabei eine Rolle, eine angezielte Beschaffung in den Absichten der Kunden und ihren Personen zu verankern.

 

2. Früher Einstieg: Wie können Anbieter die eigenen Schritte des Kunden wirksam begleiten und früher im Kaufprozess einsteigen?

Den Kunden in seinen frühen Schritten im Beschaffungsprozess anzuregen und zu entlasten, spielte bereits bei 1 eine Rolle. Detaillierte Analysen der Kaufschritte von Kunden und Nichtkunden zeigen, wo mögliche Hebel liegen, um Marketing und Vertrieb zu fördern. Vielfältige Instrumente und Kanäle gilt es auf den Kaufprozess auszurichten (Belz 2016f). Das Marketing qualifiziert die Kunden-Leads für den Verkauf (Schwarz/von Deschwanden 2016 und Belz 2016e).
Der Zugang zu den Entscheidern und Beeinflussern bei attraktiven Kunden ist eine wichtige Hürde (Belz 2016 d). Neben attraktiven Themen besteht die Herausforderung darin, eine Beziehung schrittweise aufzubauen. Fühlt ein Kunde sich zu stark bedrängt oder verpflichtet, bricht er rasch Lieferantenbeziehungen ab.
Die Präsenz bei Kunden in frühen Phasen seines Interesses ist nicht unkritisch. Damit verbunden sind längere Kundenprojekte, mehr Vorleistungen und eine geringere Trefferquote. Kunden aufzubauen und längerfristig zu begleiten braucht andere Fähigkeiten und Führung, als einfach bei kaufbereiten Kunden mit selbst definierten Projekten abzuschließen. Zwar lassen sich potenzielle Kunden und ihre Projekte bewerten und selektionieren, aber in solchen Systemen werden zeitlich begrenzte Chancen für eine Beschaffung (etwa durch einen personellen Wechsel beim Kunden, neue Großaufträge in den eigenen Märkten oder akzentuierte Probleme in der Produktion) meist zu wenig berücksichtigt. Präsenz ist deshalb die wichtige Herausforderung für Marketing und Vertrieb.

3. Beteiligung: Wie lassen sich die relevanten Beschaffungen der potenziellen Kunden vollständig erfassen?

Projekte des Wettbewerbs, welche erst nach einer Erfüllung bekannt werden, gilt es zu analysieren: Waren die Projekte attraktiv? Warum hat das eigene Unternehmen diese Gelegenheit nicht erkannt? Warum hat der Kunde uns als Lieferanten nicht einbezogen?
Grundsätzlich braucht es mehr Informationen über den Markt und Kunden sowie bessere Beziehungen. Erst damit lässt sich die Transparenz über entstehende und laufende Kundenprojekte steigern. Bezüge ergeben sich zu 2, denn Anbieter, die bereits in frühen Phasen für den Kunden wichtig sind, erfahren besser, was läuft.
Übergreifend gilt es, die Leistung des Anbieters so eindeutig zu positionieren, dass ihn der Kunde in einer vernünftigen Anbieterselektion braucht. Das können beispielsweise Mehrwertangebote, Preisführerschaft, andere technologische Lösungen oder spezifische Geschäftsmodelle wie Outsourcing oder Contracting sein.

Übergreifend gilt es, die Leistung des Anbieters so eindeutig zu positionieren, dass ihn der Kunde in einer vernünftigen Anbieterselektion braucht.

4. Umsetzung: Wie lässt sich vermeiden, dass Beschaffungen des Kunden versanden?

Trifft ein Anteil für 40 Prozent von Projekten ohne Kundenentscheid zu, so ist das Feld ausgesprochen wichtig. Warum versanden zahlreiche Projekte bei Kunden?
Beispielsweise führt ein Industrieunternehmen eine Liste der in Ausschreibungen gewonnenen Projekte, die aber später nicht vorangetrieben werden.
Oft versanden Projekte, weil der Kunde bei seiner Evaluation keine Lösung für seine Erwartungen und Probleme fand. Vielleicht wurde der Aufwand weit unterschätzt. Die Prioritäten des Kunden können sich im Zeitablauf verschieben, weil konkurrierende Projekte auftauchen oder sich seine Bedingungen in den Märkten stark verändern. Gegner eines Engagements können im Kundenunternehmen überhand nehmen. Wichtige Promotoren eines Projekts scheiden aus dem Unternehmen aus. Verantwortliche für die Beschaffung sind überlastet. Die Gründe sind mannigfaltig, aber vielleicht lassen sich häufigere Muster erkennen und Maßnahmen ableiten.
Allgemein gilt es, bei Projekten besser „am Ball zu bleiben“, die Phasen des Kunden zu klären und zu unterstützen sowie seine Zwischenentscheide herbeizuführen. Eigene Schritte des Anbieters sollen sehr schnell und zuverlässig ablaufen. Jede Verzögerung steigert die Gefahr, dass Kunden ihre ursprüngliche Absicht für eine Beschaffung verlassen.

5. Wie lässt sich die eigene Trefferquote im Vergleich zu Wettbewerbern steigern?

Für eine höhere Trefferquote lassen sich attraktive Kunden und Projekte selektionieren, sowie die Prozesse der Zusammenarbeit mit dem Kunden bis zum Kaufentscheid professionalisieren (umfassender Belz 2016f). Es gilt, die Momente der Wahrheit mit dem Kunden zu gestalten. Dazu gehören beispielsweise gute Beratung (Belz 2016c) oder optimierte Offerten und Kundenpräsentationen (Belz 2016a).
Die Felder lassen sich getrennt betrachten, hängen aber auch zusammen.

Fazit

Die Antworten zu den aufgezeigten Fragen deuten die Richtung an. Vorerst gilt es, mit dem Schema in der Abbildung zu klären, wie das eigene Unternehmen die Anteile der Kundenverluste einschätzt. Anschließend lassen sich die Prioritäten bestimmen und diskutieren. Ist es ergiebig, den Kunden früh in seinem Kaufprozess zu beeinflussen? Soll sich das Unternehmen darauf konzentrieren, zukünftig keine Kundenprojekte zu verpassen? Ist es ergiebiger, die Projekte des Kunden fortzuführen (und ein Versanden zu vermeiden) oder der Konkurrenz mehr Projekte abzujagen? Die Antwort ist unternehmensspezifisch. Zu den wichtigen Feldern lassen sich aber kreative und wirksame Lösungen gemeinsam entwickeln. Während der fünfte Ansatz oft dominiert, liegen in 1–4 häufig zu wenig erkannte Reserven.

Das Institut für Marketing an der Universität St.Gallen (HSG)

Mit rund 35 Mitarbeitenden erforscht das Institut für Marketing der Universität St.Gallen (HSG) aktuelle Themen in den Bereichen Marketing-, Kommunikation- und Verkaufsmanagement. Themen wie Customer Centricity, Business-to-Business-Marketing, Account-Management, Multichannel-Management, digitales Marketing und Marketingperformance gehören dabei zu unseren Schwerpunkten (www.ifm.unisg.ch).

In aktuellen Praxisprogrammen mit Unternehmen fördern wir den Austausch zu Best Practices in Marketing, realem Kundenverhalten – realem Marketing oder den Herausforderungen einer Sales Driven Company.

Ziel des Instituts ist es, die eigene Forschung und Entwicklung mit führenden Unternehmen und Führungskräften zu verbinden. In allen Bereichen wird der Transfer zudem durch betriebsübergreifende und interne Weiterbildungen sowie die „Marketing Review St.Gallen“ (MIM Marken Institut München GmbH) gefördert.

In der Direktion wirken mit: Prof. Dr. Sven Reinecke (Geschäftsführender Direktor), Prof. Dr. Christian Belz und Prof. Dr. Marcus Schögel.

Die Universität St.Gallen (HSG) zählt zu den führenden Wirtschaftsuniversitäten Europas und genießt weltweit einen sehr guten Ruf mit Gütesiegeln, die z.B. auch die Harvard University aus- zeichnen. In renommierten Rankings belegt die Universität St.Gallen (HSG) stets die vorderen Plätze und bietet die beste Management-Weiterbildung im deutschsprachigen Raum. Das Institut für Marketing trägt als Teil der Universität St.Gallen (HSG) zu diesem Erfolg in Forschung und Transfer bei.

Bilder zum Artikel:
Autorin(nen) / Autor(en):
Ordinarius für Marketing des Instituts für Marketing an der Universität St. Gallen
Universität St. Gallen