Oatly – From Hero to Zero

Oatly – From Hero to Zero

Marke Der Absturz des schwedischen Hafermilch-Herstellers zeigt, warum selbst eine großartige Marke sich nicht einfach von selbst führt. Selbstüberschätzung und falsche Management-Entscheidungen haben den einstigen Börsenstar zum Pennystock degradiert.

Die wie von Kinderhänden bemalten Verpackungen fallen sofort auf im Supermarktregal. Der krakelige Name, nach Oat getrennt, als hätte da jemand zu spät bemerkt, dass die Zeile zu Ende geht, der einfarbige Karton, der an drei Seiten bis zum Rand und von oben bis unten eng und voll bedruckt ist, die Schattenriss- Kaffeetasse an der Frontseite – keine Design-Agentur der Welt hätte sich sowas ausdenken können, vielleicht noch ein Underground- Comic-Zeichner aus den 1970er-Jahren. All das schreit danach: Wir sind kein normales Unternehmen. Und noch mehr danach: Wir sind hip und frisch und ganz jung. 
Zumindest Letzteres stimmt schon mal gar nicht. Oatly ist keine Start-up-Marke, die eben erst in San Francisco gegründet wurde. Sie stammt aus den 1990er-Jahren, da entstand das schwedische Unternehmen (also nix da Kalifornien) und die Idee geht sogar auf die 1980er-Jahre zurück. Der junge Lebensmittelchemiker Rickard Öste reiste 1985 zu einer Konferenz nach Japan, bekam Durst und entdeckte an einem der zahlreichen, überbunten Getränkeautomaten eine Erfrischung, die er vorher noch nie gesehen hatte: Sojamilch in kleinen Kartons. Das faszinierte ihn. Und weil das Getränk ihm zwar schmeckte, er aber sicher war, dass der Markt dafür wegen Allergiegefahren zu klein sei, suchte er nach einer anderen Pflanze, die sich zum Milchersatz eignen würde. Nach mehreren Anläufen mit zahlreichen Getreidesorten geriet er schließlich an Hafer. Bingo! Ein bisschen experimentieren – der Mann ist ja schließlich Lebensmittelchemiker – und die Mixtur steht: ein bisschen Hafer, ganz viel Wasser, ein bisschen Salz, ein bisschen Öl und vor allem Enzyme, die für die schaumige Konsistenz im Kaffee entscheidend sind.

Toni Petersson lässt die Umsätze von Oatly explodieren

Anfangs gibt es aber noch gar keine Barista-Edition, sondern nur normale Hafermilch, die Oatly zum ersten Mal 1994 auf den Markt bringt. Lange Zeit entwickelt sich das neue Unternehmen danach gut in der Nische für Milchersatzgetränke, macht 18 Jahre nach der Gründung 27 Millionen Dollar Umsatz. Nicht schlecht, aber auch kein Überflieger. Zu dem wird Oatly erst, als Toni Petersson an Bord kommt. Der hatte sich zuvor in verschiedenen Branchen und Ländern ausprobiert, kam nach dem Verkauf einer Kneipenkette im japanischen Stil (seine Mutter ist Japanerin, sein Vater Schwede) gerade von einem jahrelangen Aufenthalt in Costa Rica zurück, als er mit Oatly in Kontakt kam. Und was ihm dann einfiel, davon lebt die Marke bis heute. Petersson erfand eine ganz neue Marketingstrategie für Oatly, frei aus dem Bauch heraus, und ermöglichte damit Börsengang und heutige Rekordumsätze, die 30-mal höher sind, als vor seinem Amtsantritt. Es gibt eine Zeit vor Petersson bei Oatly und eine Zeit mit Petersson, und die begann 2012.

Wie wir auftreten, soll sich sehr menschlich anfühlen, nicht wie ein Unternehmen.
Michael Lee, Creative Director von Oatly

„It’s like milk, but made for humans“

Kurz danach zeigte die Hafermilch- Marke bereits ein völlig anderes Gesicht – auf Verpackungen wie auf Plakaten oder in Spots. Michael Lee, Creative Director von Oatly, erklärt die bis heute gültige Werbephilosophie so: „Wie wir auftreten, soll sich sehr menschlich anfühlen, nicht wie ein Unternehmen.“ Bämm. Daher also das hingekleckste Verpackungsdesign und vor allem: daher der erste Knaller-Slogan: „It’s like milk, but made for humans“ textete Oatly 2015 und brachte damit die schwedische Milchindustrie so sehr gegen sich auf, dass diese geschlossen vor Gericht zog, um sich dagegen zu verwehren, dass Hafergetränke in derselben Branche wie sie selbst aktiv seien. Und die Milchindustrie gewann. Oatly darf sich seither nicht mehr Milch nennen, vermarktet sich als „drink“. Dafür machte der Prozess Oatly erst so richtig berühmt: David gegen Goliath, so die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit. PR-Experten nannten das Gerichtsurteil einen riesigen Kommunikationserfolg für Oatly. 
Und Petersson machte in dem Stil weiter. Und dabei ging er soweit, dass er in einer Werbekampagne schließlich auch noch selbst auftrat – und sang (wenn man die Geräusche, die aus seinem Mund kamen, überhaupt so nennen kann). „Wow, wow, no cow“, so lautete der schlichte Song, bei dem er auf einer Wiese saß und einen Synthesizer bearbeitete. Was sagt Michael Lee dazu: „Das, was wir anstreben, ist dieser Homemade-Look.“ Klasse, Ziel erfüllt. Und so ging es weiter. Bis heute bleibt Oatly sich seiner öffentlichen Erscheinung treu. In der jüngsten Werbekampagne, gerade überall in Deutschland zu sehen, sitzen Menschen mit Papiertüten auf dem Kopf und einem Karton Oatly vor der Kamera und geben ein „Daumen hoch“-Zeichen. Der Spruch dazu lautet: „Bei einer Blindverkostung bevorzugen 53% Oatly anstelle von Kuhmilch im Kaffee.“

Überteuerte Fabriken, missratene Investoren-Story 

Spätestens 2015 war Oatly also in aller Munde, die Umsätze stiegen, die Ambitionen auch und erste Investoren klopften an. Der chinesische Mischkonzern China Resources stieg mit 30 Prozent ein, die Investmentfirma Blackstone mit 7 Prozent. Beides Unternehmen, die von der Öffentl ichkeit schief angesehen werden, aus unterschiedlichen Gründen – China-Konzern das eine, böse Heuschrecke das andere. Ein erster Image-Riss durchlief Oatly und ihm sollten noch zahlreiche andere folgen. Eine Negativspirale setzte ein, der das Unternehmen lange Zeit nichts entgegensetzen konnte. Angefangen mit überzogenen Absatzerwartungen, die in teuren Fabrikneubauten mit zudem fehlerhaften Produkten mündeten. Bis hin zu einer katastrophalen Börsen-Story.
Im Detail: An sechs Standorten in Singapur, China, den USA, den Niederlanden und in Schweden produziert Oatly derzeit, eine geplante Fabrik in England wurde abgesagt. Woher das Geld für die massiven Expansionspläne kommt? Von den Investoren und einem Börsengang 2021. Nach hoffnungsvollem Start mit einem Emissionspreis von über 18 Euro liegt die Aktie heute bei circa 80 Cent. Wichtigster Grund: die roten Zahlen. Allein 2023 machte Oatly über 400 Millionen Dollar Verlust. Mitentscheidend für den Crash waren aber auch die schlechten Nachrichten aus den USA. Dort kostete die neue Fabrik in Ogden bei Salt Lake City geschlagene 100 Millionen Dollar – kalkuliert wurde mit 40 Millionen Dollar. Hinzu kamen Qualitätsprobleme bei der Produktion wie beim Betrieb der Anlage. Zweifel am Sachverstand der Unternehmensführung machten die Runde.

Neuer CEO bringt Oatly langsam wieder auf Kurs

2023 musste CEO Petersson schließlich gehen. Ersetzt wurde er durch Jean-Christophe Flatin und Daniel Ordonez. Die beiden bemühen sich, die Fehler aus der Vergangenheit zu korrigieren – also wirtschaftlicher zu produzieren, um Oatly wieder aus der tiefen Verlustzone herauszuholen. Zuletzt gab es Hoffnungszeichen: Im dritten Quartal 2024 machte Oatly „nur“ 33,2 Millionen Dollar Minus, nach zahlreichen Berichtsperioden mit weitaus höheren Verlusten. Und der Umsatz stieg um 10 Prozent auf 208 Millionen Dollar.
Die Vergangenheit will Oatly hinter sich lassen, die Corona- Jahre waren für das Unternehmen auch aus betriebswirtschaftlicher Sicht schlimm, mit einem Totalzusammenbruch an der Börse und gigantischen Verlusten, nach zuvor ständig enorm wachsenden Umsatzsteigerungen. Was damals aus seiner Sicht schief lief, erklärte CEO Flatin in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung so: „Die Welt war 2019 noch eine andere als heute. Die Anleger wollten Wachstum um jeden Preis. Und wenn Sie Ihre Geschäfte jedes Jahr verdoppeln, treibt das den Ehrgeiz an. Der muss aber angepasst werden, wenn die Welt eine andere wird.“ Ein Schuldeingeständnis, wie man selten eines hört. Hybris hat Oatly zu Fall gebracht, Einsicht soll die Marke jetzt wieder glänzen lassen.

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marke41