Wann ist eine Handelsmarke noch eine Handelsmarke?

Wann ist eine Handelsmarke noch eine Handelsmarke?

Die Frage, die im Folgenden diskutiert werden soll, ist, wann eine Handelsmarke noch eine Handelsmarke im engeren Sinn ist, oder wann sie sich zu etwas anderem – einer echten Marke oder etwas noch nicht direkt Klassifizierbarem – entwickelt. Es gibt immer häufiger Abweichungen von klassischen Handelsmarken und vom exklusiven Vertrieb in den Verkaufsstellen des markeninhabenden Händlers. Dies macht es wesentlich komplizierter, Handelsmarken eindeutig zuzuordnen.

Interessant ist, ob – und wenn ja, unter welchen Voraussetzungen – solche Entwicklungen eine Chance für die Handelsmarke bedeuten oder eher ein Risiko. Wenn eine Handelsmarke ihren abgesteckten, definierten Bereich verlässt, kann dies bedeuten, dass sie auf der einen Seite markengleicher wird, auf der anderen Seite besteht die Gefahr, dass sie eine Verwässerung erfährt und ihre Funktion für den Händler eingeschränkt wird. Ziel des vorliegenden Textes ist es, die Tendenzen aus Sicht der Händler zu bewerten.
Eine Handelsmarke kann wie folgt definiert werden (Hurth/Sievers 2016, S. 20):

  • Das Markenzeichen ist im Eigentum des/eines Händlers
  • Die Distribution ist in den meisten Fällen auf die Verkaufsstellen des Händlers begrenzt
  • Das Image der Handelsmarke ist verbunden mit dem Image des Händlers, der die Marke vertreibt

Das zentrale Ziel von Handelsmarken ist die Abgrenzung vom Wettbewerb durch Sortimentsdifferenzierung und -segmentierung. Daneben spielen Rohertragsverbesserung und Verbesserung der Verhandlungsposition mit den Lieferanten eine Rolle.
Es ist zu beachten, dass Phantommarken (die nicht eindeutig als Handelsmarken gekennzeichnet sind) anders wirken als nach dem Händler benannte Handelsmarken – „Rewe Beste Wahl“ in einem Hit-Markt der Dohle Handelsgruppe ist etwas anderes, als wenn Edekas Wurstmarke „VielLeicht“ bei Globus auftaucht. Der erste Fall belegt seine Herkunft aus dem Hause Rewe eindeutig, im zweiten Fall steht allein die Produkteigenschaft (nur 3 Prozent Fett) im Vordergrund, die Edeka bringt auf den Verpackungen den eigenen Namen jedoch nicht ins Spiel. Dazwischen gibt es Handelsmarken, die Phantasienamen nutzen, bei denen aber auf den Markeninhaber hingewiesen wird (vgl. Abbildung 1). Eine weitere Unterscheidung betrifft die Positionierung der Handelsmarken, die wie folgt unterschieden werden kann:

  • Preiseinstiegsmarken
  • Klassische Handelsmarken, auch Imitationsmarken
  • Mehrwerthandelsmarken (Premium-Handelsmarken und zielgruppenspezifische Handelsmarken)

Bevor näher auf die genannten Abweichungen von Handelsmarken eingegangen wird, soll noch geklärt werden, was eine Marke ausmacht. Im Wesentlichen besteht eine Marke aus ihrer Bekanntheit und dem Markenimage. Das Markenimage wird geprägt durch Art, Stärke, Zahl und Relevanz der Assoziationen mit der Marke (Hurth/Sievers 2016, S. 31). Folgt man dieser Definition, sind die erwähnten Phantommarken keine „echten“ Marken. „Feurich“ von Aldi Nord oder „Kania“ von Lidl dürften bei den meisten Kundinnen wenig bekannt sein und wenige bis gar keine Assoziationen auslösen. Dagegen können gut eingeführte Preiseinstiegsmarken wie „ja!“ durchaus Assoziationen generieren, wenn auch in diesem Fall überwiegend funktionale Eindrücke wie Preisgünstigkeit.

Ist der Händler noch ein Händler?

Eine Frage, die sich in diesem Zusammenhang stellt, ist die, ob der Händler überhaupt noch ein Händler im eigentlichen Sinne ist. Wenn der Handel – wie im Falle Lidl – mit eigenen Werken in die Produktion einsteigt, ist das Lidl-Eis dann noch im engeren Sinne eine Handelsmarke? Im Zusammenhang dieses Beitrags ist dafür vor allem entscheidend, ob der Händler diese selbst produzierten Produkte noch wie eine Handelsmarke führt oder ihnen in irgendeiner Form etwas anderes angedeihen lässt. Tritt er zum Beispiel als Lieferant für andere Ketten auf – eventuell auch im Ausland, wo er selbst nicht tätig ist –, oder wird etwa in der Werbung der Eindruck erweckt, es handle sich um eine Marke, die für sich steht?

Im Wesentlichen besteht eine Marke aus ihrer Bekanntheit und dem Markenimage.

Der Fakt einer eigenen Produktion hat also nicht zwingend Auswirkungen auf den Status als Handelsmarke (oder den Status als Marke), genauso wenig wie ein Markenprodukt nicht vom Markeninhaber hergestellt worden sein muss: Während Lidl heute fast all seine Energy- Drinks über die Mitteldeutsche Erfrischungsgetränke, eine 100%-ige Tochter, selbst produziert, hat die Weltmarke Red Bull noch nie selbst eine Dose befüllt. Andererseits stehen Lidls „Bellarom“- oder „Fin Carré“-Schokoladen, auch wenn sie von der hauseigenen Solent GmbH produziert sind, als Handelsmarkenprodukt in den Regalen des Discounters. Lidl nutzt die selbst hergestellten Produkte also durchaus weiter als Handelsmarke. Die Ware wird produziert, um sie als Eigenmarke in den eigenen Filialen zu distribuieren, es geht bei der Vertikalisierung vornehmlich um den Einfluss auf die Produktionskette.

Marken können beliebig vermarktet werden – entweder eigenständig oder als klassische Handelsmarke.

Schwieriger abzugrenzen ist die Frage bei vielen Produkten der Schweizer Migros. Der Handelskonzern hat mit der M-Industrie eine eigene Sparte, die vom Handelsbereich unabhängig als Industrieunternehmen handelt. Hier werden viele der unter Migros-Label vertriebenen Produkte produziert, die M-Industrie tritt aber auch als Produzent von Handelsmarken für ausländische Handelsunternehmen (wie dm oder Edeka) auf oder vertreibt Produkte unter eigenen Marken. So werden in den Schweizer Migros-Geschäften Produkte verkauft, die international als Marke angeboten werden, zum Beispiel Produkte der M-Industrie-Tochter Delica AG. Sie produziert:

  • nur bei der Migros zu erhaltende Handelsmarken wie „Migros Selection“ oder „M-Classic“ (eindeutig Handelsmarkenprodukte)
  • nur für den internationalen Markt vorgesehene Produkte („echte Marken“ wie „Cremesso“-Kapseln)
  • bei der Migros in der Schweiz sowie international erhältliche Produkte wie „Café Royal“, die mit eigener Werbung und einem bekanntem Testimonial wie hier dem britischen Sänger Robbie Williams nicht nur in den Auslandsmärkten, sondern auch in der Schweiz selbst als „echte“ Marke auftreten.

Aus Markensicht ergeben sich aus dieser Entwicklung zunächst Chancen: Die Marken können beliebig vermarktet werden – entweder eigenständig oder als klassische Handelsmarke. Der Einfluss auf die Produktgestaltung ist groß und Änderungen beim Konzept sind schnell und flexibel möglich. Wenn der Zusammenhang zum Händler nicht eindeutig ist, wird allerdings auf den Imagetransfer von der Retailer Brand (in diesem Fall die Migros als Vertriebslinie) auf das Produkt verzichtet. Wenn die Distribution der Marken auf andere Händler ausgedehnt wird, geht die Exklusivität der Handelsmarken und damit das wesentliche Ziel der Differenzierung vom Wettbewerb verloren.

Wenn die Handelsmarke bei anderen Händlern verkauft wird

Bereits die Einschränkung bei der Definition – „Die Distribution ist in den meisten Fällen auf die Verkaufsstellen des Händlers begrenzt“ – weist darauf hin, dass es hiervon eine zunehmende Zahl an Ausnahmen gibt:

  • Einige Handelsmarken werden in Konzernen mehrfach verwendet, z.B. führt Netto Markendiscount manche Handelsmarken aus dem Edeka-Portfolio und „Today“ wird international bei Penny oder in Österreich bei dem zum Rewe-Konzern gehörenden Drogeriemarkt Bipa angeboten.
  • Andere werden in Einkaufskooperationen mehrfach genutzt, z.B. finden sich in den Hit-Märkten der Dohle Handelsgruppe „ja!“-Produkte und auch „Rewe Beste Wahl“ und „Today“. Das Produkt ist in diesem Fall keine Hit-Handelsmarke, erfüllt aber im Sortiment die Rolle als Handelsmarke, etwa als Angebot im Preiseinstieg bzw. als Wertschöpfungsmarke im Sortiment, ohne einen positiven Effekt für die Händlermarke generieren zu können.
  • Schließlich gibt es Handelsmarken, die unabhängig von einer bestehenden Einkaufskooperation ihren Weg ins Sortiment eines Händlers finden. Das dürfte sehr selten sein. Ein Beispiel ist die innovative Wurstmarke „Viel- Leicht“ von Edeka bei Globus (beide Unternehmen waren bis 2012 über eine Kooperation verbunden). Das Produkt wird ohne seine Eigenschaft als Handelsmarke der Edeka geführt, wahrscheinlich wegen seines innovativen Produktwertes.

In diesem Zusammenhang sollte künftig auch mehr Augenmerk darauf gelegt werden, wie sich die Verkaufssituation darstellt. Konstellationen, bei denen ein Private- Label-Produkt dem Endkunden in einem veränderten Kontext angeboten wird, sind:

  • Handelsmarken des Großhandels wie „Aro“ von der Metro (oder auch Handelsmarken von Vollsortimentern und Discountern) werden in Kiosken angeboten.
  • Ein amerikanischer Deli für „German Food“ verkauft Edeka-Handelsmarken.
  • Ein belgischer Carrefour im deutschsprachigen Eupen verkauft „ja!“-Produkte von Rewe (ohne von der Rewe direkt beliefert worden zu sein), um deutsche Produkte im Sortiment zu führen. Diese Produkte decken Vorlieben der Kundschaft ab, die mit dem eigenen Sortiment nicht bedient werden können.

Dieser veränderte Kontext entkleidet die Handelsmarke situativ von ihrem eigentlichen Zweck, denn der Kunde kauft in diesem Fall im Laden keine Produkte, die der Ladeninhaber als Handelsmarke anbieten will. Es dürfte beim Verkauf vornehmlich um die Produkteigenschaft gehen. Nicht „Aro Mineralwasser“, sondern nur Mineralwasser, nicht „Gut & Günstig Honig“, sondern Honig aus Deutschland, nicht „ja!“-Produkte“, sondern typisch deutsche Lebensmittel zum günstigen Preis. Mal ist dies mehr gewollt (Metros Marken sind eher für Weiterverkauf bestimmt als Handelsmarken des Vollsortiments oder Discounts), mal ist dies nach der Vorstellung des markeninhabenden Händlers in der Form gar nicht vorgesehen wie der Weiterverkauf bei Carrefour Belgien oder bei dem Deli in den USA. Ein aktuelles Beispiel stammt aus der Schweiz: Dort ersetzt Denner seine eigene Körperpflege durch die „Isana“-Produkte vom deutschen Partner Rossmann. Die Produkte sind teilweise günstiger als die vorher geführten Artikel (u.a. von Migros- Industrie), aber aufgrund der höheren Kosten teurer als sie in Deutschland angeboten werden.
Eine Chance, die mit der Erweiterung von Handelsmarken auf andere Vertriebskanäle einhergeht, ist die Entwicklung hin zu einer eigenständigen Marke. Migros kann bspw. im Ausland mit dem Attribut „made in Swiss“ versehen sein und Schweiz-affine Kunden ansprechen. „VielLeicht“ kann experimentierfreudige, innovative Kunden erreichen. Gleichzeitig wird die Bekanntheit der Marken auch außerhalb des Unternehmens gesteigert.
Andererseits bedeutet die Ausweitung der Distribution gleichzeitig die Aufgabe der Exklusivität, die einen zentralen Vorteil von Handelsmarken darstellt. Diesem Nachteil kann u.U. entgegengewirkt werden, indem die Marke nicht an direkte Wettbewerber vertrieben wird.

Entscheidend ist letztlich die Strategie des Händlers: Soll seine Marke eine reine Handelsmarke sein oder soll sie nicht eindeutig zuzuordnen sein?

Ein weiterer Nachteil ist, dass die Präsentation und Bepreisung der Marke nicht mehr allein in den Händen des Markeninhabers liegt, dies insbesondere dann, wenn der Vertrieb in anderen Vertriebskanälen ohne eigenes Zutun geschieht. In diesem Fall könnte die Marke verwässert oder beschädigt werden. Würde bspw. „ja!“ im Ausland teurer als üblich angeboten werden, könnte das Preisimage leiden. Und Kunden, die die Rossmann-Produkte aus Deutschland kennen, werden sich bei den Denner-Preisen die Augen reiben. Das könnte zu Unverständnis führen, auch wenn der Schweizer Händler die höheren Kosten in der Schweiz geltend macht.
Unangenehm aus Sicht eines Händlers kann es werden, wenn die eigenen Produkte unautorisiert durch andere vertrieben werden. So versuchte die zum Nordzweig der Aldi-Familie gehörende Kette Trader Joe’s aus den USA jahrelang, den Verkauf ihrer Produkte im Nachbarland Kanada mit rechtlichen Mitteln zu unterbinden. Dort hatte der kleine Händler „Pirate Joe‘s“ zu regulären Preisen bei Trader Joe’s in den USA erworbene Ware in einem Laden angeboten, der sich auch von der Aufmachung sehr am amerikanischen Original orientierte.
Eine etwas andere Situation ergibt sich im E-Commerce. Wenn Aldi und dm „Moser Roth“ oder „Balea“ über die Plattform von Alibaba verkaufen, erreichen sie damit über 400 Mio. neue Verbraucher, die deutsche Qualität mit dem Siegel Made in Germany sehr schätzen. Solange Preise und Aufmachung des Shops dem Image der Händler entsprechen, scheinen die Vorteile dabei zu überwiegen. Unter Umständen kann mit diesen Aktivitäten auch vorgefühlt werden, ob ein Markteintritt in den Absatzländern erfolgversprechend ist. Ein anderes positives Beispiel ist der britische Supermarktbetreiber Waitrose. Er will mit mehr als 2000 Eigenmarkenprodukten über den Webshop von British Corner Shop in 138 Ländern verfügbar sein. Dadurch sollen britische Auswanderer mit den Produkten des Händlers versorgt werden, auch in den USA und Deutschland (Schadwinkel 2016).
Letztlich scheint die Ausweitung des Eigenmarkenvertriebs solange unschädlich, solange sich die Vertriebsnetze nicht zu sehr überschneiden. So verkauft der britische Supermarktbetreiber Tesco spanische Spezialitäten wie Sherry-Essig vom spanischen Händler El Corte Inglés. Umgekehrt bietet El Corte Inglés Tee und Kekse von Tesco an (Guédez 2016). Und italienische Spezialitäten der Eigenmarke „Creazioni D’Italia“ des italienischen Händlers Conad werden über die gemeinsame Einkaufskooperation inzwischen bei Intermarché in Frankreich, bei der Coop in der Schweiz und bei Colruyt in Belgien angeboten (Johansson 2017).

 

Ist das Image der Handelsmarke eindeutig verbunden mit dem Image des Händlers?

Die bisherigen Beispiele haben schon gezeigt, dass die Zuordnung von Handelsmarken – und damit die Verbindung mit dem Image des Händlers – nicht immer eindeutig ist. Dies gilt insbesondere für Phantommarken, wie sie von den Discountern angeboten werden. In diesen Fällen ist man offensichtlich nicht der Meinung, dass „die Handelsmarke auf die Retailer Brand einzahlen muss“, wie es der ehemalige Edeka-Manager Sievers formuliert. Dennoch werden neben den eindeutig dem Händler zuzuordnenden Marken wie „Edeka“ oder „Rewe Beste Wahl“ auch die Phantommarken der Discounter eng mit dem Markeninhaber verbunden, solange sie im Laden des Markeninhabers gekauft werden: „Man kauft die Schokolade von Aldi, nicht bei Aldi.“
Eher zunehmend ist die Handelsmarke allerdings eindeutig dem Händler zuzuordnen, insbesondere dann, wenn der Händlername genutzt wird. Es ist dabei umstritten, ob die Retailer Brand das Image der Handelsmarken beeinflusst oder umgekehrt. Wahrscheinlich ist die Wirkung beidseitig. Es ist zu vermuten,

  • dass die Retailer Brand Einfluss auf die Handelsmarke hat,
  • dass die Handelsmarken umgekehrt auch Auswirkungen auf die Retailer Brand haben und dass
  • die Handelsmarkenimages sich gegenseitig beeinflussen (vgl. Abbildung 3).

Schließlich soll noch angemerkt werden, dass niedrigpreisige Eigenmarken das Preisimage und hochpreisige Eigenmarken das Qualitätsimage der Retailer Brand beeinflussen können. Namenszusätze wie Bio und Premium können ebenso wie Prominente in der Werbung weiteren Einfluss haben. Die Namensgleichheit spielt auch bei der Wechselwirkung zwischen Eigenmarken eine Rolle. Wenn der Konsument eine positive/negative Erfahrung mit einer Eigenmarke hat, die bspw. unter dem Namen Edeka angeboten wird, wird er diese auf andere Produkte der gleichen Marke übertragen. Passiert das Gleiche bei einer Marke wie „Sonniger“ (Getränke von Aldi Nord) ist eine Übertragung auf die Marke „Feurich“ (Knabberartikel, ebenfalls von Aldi Nord) dagegen unwahrscheinlich.
Die Namensgebung ist ein kritischer Punkt. Wenn eine Marke uneindeutig angeboten wird, verschärfen sich die Unklarheiten, und die Rolle als Handelsmarke wird geschwächt. Gleichzeitig könnte das Ansehen der Handelsmarke als „echte“ Marke gestärkt werden: Wer im Urlaub ein Produkt wie den Energy-Drink „Booster“ bei Intermarché sieht, wird es nach seiner Rückkehr weniger als eine Edeka-Handelsmarke betrachten, sondern vielleicht als internationales Markenprodukt. Bei Trennung der Handelsmarke von der Retailer Brand besteht also die Chance, dass die Handelsmarke zu einer eigenständigen Marke wird. Wird sie in den eigenen Verkaufsstellen vertrieben, kann sie dennoch indirekt das Image der Retailer Brand beeinflussen (wie jede andere Herstellermarke auch).
Entscheidend ist letztlich die Strategie des Händlers: Soll seine Marke eine reine Handelsmarke sein oder soll sie nicht eindeutig zuzuordnen sein? Vor allem im ersten Fall scheint es ratsam zu sein, die Handelsmarke pfleglich zu behandeln und sie nicht außerhalb der eigenen Verkaufsstellen zu vertreiben. Wenn beispielsweise die „Cora“-Handelsmarken des gleichnamigen französischen SB-Warenhausbetreibers auch in französischen Migros-Märkten angeboten werden, scheint Vorsicht geboten (vgl. Abbildung 4).

Sollen Handelsmarken zu Marken werden?

Manchmal kann die gleiche Marke in unterschiedlichen Kontexten unterschiedlich wahrgenommen werden. In Deutschland und anderen europäischen Ländern kennt man „Trader Joe’s“ als Handelsmarke von Aldi Nord, die vor allem in den Bereichen Nüsse, salzige Snacks und amerikanische Spezialitäten zum Einsatz kommt. Ursprünglich ist sie jedoch in den USA Handels- und Händlermarke des zu Aldi Nord gehörenden Feinkostdiscounters Trader Joe’s. Solange Trader Joe’s nicht als eigenständige Ladenkette in Deutschland bzw. Europa auftritt, erscheint diese Synergie wirtschaftlich sinnvoll. Sollte sich das ändern, wäre der Einsatz der Marke neu zu bewerten.
Ein weiteres Beispiel für eine Wandlung, bei dem eine Handelsmarke außerhalb des ursprünglichen Kontextes verkauft wird, ist die Kaffeemarke „Amaroy“ von Aldi Süd. Die Handelsmarke erreicht in Rumänien ohne Präsenz des markeninhabenden Händlers Markenstatus und führt dort ein zweites Leben als reguläres Markenprodukt. Der Vertrieb erfolgt durch die Firma JBC Eden, die mit Aldi Süd 2012 einen Vertrag als Alleinimporteur unterzeichnet hat und den rumänischen Handel mit der aus Deutschland importierten Ware beliefert.
Die genannten Beispiele dürften Ausnahmen darstellen. Unter normalen Umständen verlangt der Aufbau von Marken durch Händler ähnlich große Anstrengungen wie bei der Markenartikelindustrie. Die Marken müssen ständig bespielt werden, immer gleichbleibende Qualität und sich ständig verbessernde Leistungen bieten. Dazu sind kompetente Teams notwendig – im Idealfall eins für jede Marke und nicht wie im Handel üblich eins für mehrere Tausend Eigenmarkenprodukte. Die Kosmetikmarke „Cien“ von Lidl zeigt mit Hochglanzbroschüren und einem Testimonial wie Sophia Thomalla zwar exemplarisch, dass der Handel durchaus in der Lage ist, „starke“ Marken zu kreieren. Der Marketingaufwand dürfte jedoch so hoch gewesen sein, dass das nicht für eine Fülle an Eigenmarken aus dem Portfolio zu leisten sein wird. Und die Marke „Booster“ wird von der Edeka zwar wie eine echte Marke geführt und tritt ansatzweise wie ein internationales Produkt auf, hat aber nicht das Potenzial, zu den echten Top-Marken des Segments aufzuschließen, das durch riesige Marketingetats und eine umfassende Verfügbarkeit der Produkte an jedem Ort zu jeder Zeit geprägt ist. Die Handelsmarken sind zum Schatz der Händler geworden, den sie nicht leichtfertig riskieren dürfen. Jeder Händler sollte sich daher genauestens darüber im Klaren sein, was er für seine Handelsmarken langfristig will. Er muss klare Grenzen ziehen, was sich mit den Zielen für seine Marken nicht mehr deckt, und wann es sich lohnt, mehr in einen Markenaufbau zu investieren. Ohne selbstdefinierte, klare Leitlinie gerät er in Gefahr, sich zu verzetteln und setzt das Erreichte aufs Spiel.
Auch und gerade weil die Vorteile von Handelsmarken aus Händlersicht unumstritten sind, sollte die Koexistenz mit den Marken der Konsumgüterindustrie weiter gepflegt werden. Nur die Vielfalt dieser – oft mittelständischen – Unternehmen ist in der Lage, durch Spezialisierung Produkte aller Warengruppen ständig weiterzuentwickeln. Und auch die „echten“ Handelsmarken der Discounter haben weiter ihre Vorteile. Sie sind leicht austauschbar und benötigen keine Marketingaufwendungen.

Bei Trennung der Handelsmarke von der Retailer Brand besteht die Chance, dass die Handelsmarke zu einer eigenständigen Marke wird.

Für die Fälle, in denen die Händler weiter sukzessive am Aufbau von Markenkompetenzen arbeiten, scheint es sinnvoll, Unternehmensteile auszugliedern und ihnen so mehr Freiraum zum Agieren zu geben. Die Migros hat es vorgemacht. Aldi Süd hat kürzlich bekanntgegeben, seine Kaffeeproduktion in Zukunft unter dem Namen NewCoffee als unabhängige Tochtergesellschaft zu führen. Diese Einheit soll sowohl weiter die Eigenmarken „Amaroy“ und „Tizio“ herstellen und distribuieren als auch neue Kunden beliefern (Queck 2017).
Und Ausnahmen bestätigen die Regel: Wenn Amazon daran arbeitet, globale Eigenmarken aufzubauen, ist das aufgrund der Marketingpower und den fast unbegrenzten finanziellen Möglichkeiten sicher ernst zu nehmen. Bisher ist die Zahl der angebotenen Marken im FMCG-Segment mit Angeboten wie Happy Belly (Lebensmittel) oder Beauty Bar (Kosmetik) noch überschaubar und für das Unternehmen gut zu handeln. Das Einführungstempo hat sich allerdings deutlich erhöht. Gleichzeitig setzt auch Amazon auf Synergien. Die Eigenmarken des kürzlich erworbenen Lebensmittelhändlers Whole Foods werden inzwischen ebenfalls auf dem Marktplatz angeboten.

 

Literatur

Guédez, G. (2016): Tesco And El Corte Inglés Partner To Bring Spanish Products To The UK, http://www.esmmagazine.com/tesco-and-elcorte- ingles-partner-to-bring-spanish-products-to-the-uk/27320, abgerufen am 13.09.2016.

Hurth, J. (2017): Phantom-Marken verbessern die Performance, in: Lebensmittelzeitung, 28.04.2017, S. 6.

Hurth, J./Sievers, H. (2016): Marketing für Handelsmarken, Frankfurt. Johansson, D. (2017): Conad Private Label Exports Show Promise, https://www.retailytics.com/blog/conad-private-label-exports-show-promi…- italian-retailers-still-at-the-starting-blocks, abgerufen am 14.09.17.

Queck, M. (2017): Aldi Süd Consolidates Coffee Production, https://www.retailytics.com/blog/aldi-s%C3%BCd-consolidates-coffeeprodu…- the-collateral-damage-of-brand-listings, abgerufen am 05.09.2017.

Schadwinkel, S. (2016): Neuer Online-Partner, Waitrose verkauft Eigenmarken über British Corner Shop, 2016, http://www.lebensmittelzeitung.net/ handel/Neuer-Online-Partner-Waitrose-verkauft-Eigenmarken-ueber- British-Corner-Shop-124201, abgerufen am 03.09.2016.

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Autorin(nen) / Autor(en):
Professor für Handelsbetriebslehre
Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften
Marktforscher und Publizist