Wie Unternehmen ihre Marke zum Erlebnis machen können

Wie Unternehmen ihre Marke zum Erlebnis machen können

Für einen Caffè Latte to go zahlen Starbucks-Kunden 3,85 Euro. Beim Outdoor-Ausrüster Globetrotter können Kunden im Laden Bekleidung in der Höhenkältekammer und das Kajak im künstlichen See ausprobieren. 3 Millionen Besucher kommen jährlich in die BWM Welt nach München – doppelt so viele wie nach Neuschwanstein. Unternehmen verkaufen nicht mehr nur Produkte – sondern vielmehr Erlebnisse.

Was ist Erlebnismarketing? Die Entwicklung hin zum Erlebnismarketing kann am einfachen Beispiel eines Kindergeburtstags anschaulich beschrieben werden: In der traditionellen Produktökonomie backte die Mutter den Kuchen aus Mehl, Zucker, Eiern und Butter für geringes Geld („Massengüter“). Mit zunehmendem Fortschritt konnte eine Dr. Oetker Backmischung für ein paar D-Mark genutzt werden („Güter“). In der Serviceökonomie können vielbeschäftigte Eltern den Geburtstagskuchen bei Online-Händlern, wie deinetorte.de, zu Preisen ab 27,90 Euro online bestellen („Dienstleistung“). Und nun, in der Erlebnisökonomie, müssen Eltern weder den Kuchen selber backen noch die Party ausrichten: Firmen wie Kidsevent aus Hamburg organisieren professionelle Kindergeburtstagspartys – inklusive des Kuchens („Erlebnis“). Joseph Pine und James Gilmore, Pioniere im Bereich Erlebnismarketing, sehen Erlebnisse daher als die vierte Entwicklungsstufe nach Massengütern, Gütern und Dienstleistungen.
Beim Erlebnismarketing werden Erlebnisse dazu genutzt, bestehende Produkte oder Dienstleistungen besser und zu einem höheren Preis zu verkaufen. Unternehmen können so deutlichen Mehrwert im Vergleich zum Verkauf des bloßen Produkts oder der Dienstleistung generieren. Und sie können sich gleichzeitig vom Wettbewerber differenzieren und ihre Marke emotional aufladen. Kunden kaufen damit nicht mehr nur zur reinen Bedarfsdeckung, sondern der Kauf an sich wird zum sinnlichen Erlebnis.

Gründe für die Entstehung von Erlebnismarketing

Einige Phänomene haben die Entwicklung des Erlebnismarketings wesentlich gefördert: Zum einen führt die zunehmende Informationsüberlastung und Werbeübersättigung traditioneller Marketingkommunikation dazu, dass Marken neue Wege gehen müssen, um die Aufmerksamkeit ihrer Kunden zu gewinnen und sie mit ihrer Botschaft zu erreichen.

Das Starbucks- Erlebnis ist mehr als der Kauf einer Tasse Kaffee. Es ist der Geruch des frisch gebrühten Kaffees, die Wohnzimmeratmosphäre, das Wissen, so lange bleiben zu können, wie man möchte etc.

Zum anderen hat das Produktangebot zur Befriedigung unterschiedlicher Bedürfnisse zugenommen. Dies führt dazu, dass die wesentlichen funktionalen Eigenschaften eigentlich von der gesamten Konkurrenz erfüllt werden (Produkthomogenität), was es fast unmöglich macht, sich über funktionale Eigenschaften vom Wettbewerb zu differenzieren. Und nicht zuletzt hat sich ein hedonistischer Lebensstil in unserer Gesellschaft etabliert, und Kunden sind aktiv auf der Suche nach sinnlichen Erlebnissen – und diese können auch in Form eines Konsumerlebnisses angeboten werden.

 

Was ist also anders als beim traditionellen Marketing?

Erstens ist Erlebnismarketing deshalb anders, weil nicht die rationale Kaufentscheidung im Vordergrund steht, bei der sich der Kunde nutzenmaximierend und ergebnisorientiert für ein Produkt entscheidet. Vielmehr beeinflussen emotionale Erlebniskomponenten die Kaufentscheidung wesentlich. Das Starbucks-Erlebnis ist mehr als der Kauf einer Tasse Kaffee: Es ist der Geruch des frisch gebrühten Kaffees, die Wohnzimmeratmosphäre, das Wissen, so lange bleiben zu können, wie man möchte etc.
Zweitens liegt der Fokus beim Erlebnismarketing nicht mehr auf dem reinen Produktnutzen, der sich aus der Summe der funktionalen Eigenschaften des Produkts bildet, sondern vielmehr auf dem Erlebnis, das dem Kunden geschaffen wird. In der M&M’s World in Las Vegas können Kunden in dem 2500 Quadratmeter großen Laden auf dem Vegas Strip nicht nur aus über 100 M&M-Sorten auswählen, sondern personalisierte M&Ms mit einem Drucker herstellen. Im Duravit Design Center können sich Besucher zum Probebaden anmelden – Badetuch, Pantoffeln, Shampoo, und Fön werden gestellt.
Drittens denkt das traditionelle Marketing in einem engen Marktbegriff über direkte Konkurrenten nach. In der deutschen Automobilindustrie konkurriert BMW im Wesentlichen mit Audi und Mercedes. Das Erlebnismarketing hingegen denkt über Konsumsituationen und die Möglichkeit zur sinnlichen Beeinflussung von Kunden nach. Hier konkurriert BMW, wenn es um ein Mobilitätserlebnis geht, genauso mit der Deutschen Bahn, Fernbussen, Carsharing-Unternehmen und E-Bikes.
Viertens verändert das Erlebnismarketing die eingesetzten Methoden der Marktforschung. Während im klassischen Marketing weiterhin quantitative Methoden vorherrschend sind, werden diese im Erlebnismarketing zwar auch noch eingesetzt (bspw. Eye-Tracking-Verfahren), jedoch dominieren hier eher qualitative Verfahren, um die Gefühlswelt des Kunden im Rahmen des Erlebnisses besser verstehen zu können (bspw. Fokusgruppen, Tiefeninterviews).

„Physische“ Formen des Erlebnismarketings

Erlebnismarketing kann verschiedene „physische“ Formen annehmen, und Unternehmen müssen sich im Klaren sein, welche Art des Konsumerlebnisses für ihre Marke die richtige ist. Per se kann ein Erlebnis auch virtuell geschaffen werden, d.h. über Web-Seiten oder Social Media, allerdings gestaltet sich dies deutlich schwieriger, als ein „reales“ Erlebnis zu schaffen. Über die verschiedenen Möglichkeiten „physischer“ Erlebnisse kann anhand von zwei Dimensionen nachgedacht werden: dem Erlebnisgrad beim Kunden und den Zielen des Unternehmens.
Die unterste Evolutionsstufe des Erlebnismarketings stellt der Flagship-Store dar. Dieser hat zwar ein primäres Verkaufsziel, jedoch werden Marke und Produkt über eine aufwendige Architektur, Ladendesign und Produktpräsentation entsprechend in Szene gesetzt. Dies kann als flächendeckendes Konzept in allen Filialen erfolgen, wie bei Starbucks, Hard Rock Café, Nespresso oder Abercrombie & Fitch, oder nur in ausgewählten Flagship-Stores, wie bei Prada Epicenter (New York, Los Angeles, Tokio), Nike (Chicago), Globetrotter (Köln und sechs weitere „Erlebnisfilialen“), Q110 – Deutsche Bank der Zukunft (Berlin), Haribo Store (Bonn) und World of Tui (Berlin).
Themenparks gibt es im Wesentlichen nur für Spielwaren-/ Unterhaltungsunternehmen, wie Lego, Playmobil, Ravensburger oder Disney, die hier eine umsatzgenerierende Verlängerung der Wertschöpfungskette verfolgen (zum eigentlichen Kerngeschäft Spielwaren bzw. Filme), die dem Kunden einen hohen Erlebnisgrad der Marke ermöglicht.
Markenwelten versuchen, dem Kunden Informationen (auf interessante Art und Weise) zu vermitteln, daher tragen diese auch oft das Wort „Museum“ in ihrem Namen, wie bspw. Mercedes-Benz-Museum (Stuttgart), Thonet Museum (Frankenberg), Steiff Museum (Giengen), Märklin Museum (Göppingen) und Braunsammlung (Kronberg). Hier steht die „Bildung“ durch das Produkt und nicht der Erwerb des Produkts im Vordergrund – teilweise werden die Produkte nicht einmal zum Verkauf angeboten, wie bspw. beim Miele Center (Gütersloh).
Markenerlebniswelten sind die höchste Evolutionsstufe des Erlebnismarketings, da sie sich durch einen hohen Erlebnisgrad für den Konsumenten auszeichnen und gleichzeitig die Kommunikation der Marke im Vordergrund steht. Beispiele sind VW Autostadt (Wolfsburg), BWM Welt (München), Dr.Oetker Welt (Bielefeld), World of Coca-Cola (Atlanta), Heineken Experience (Amsterdam) und Erlebniswelt Haus Meissen (Meißen).

Was macht gute Markenerlebniswelten aus?

Unternehmen sollten bei der Gestaltung einer Markenerlebniswelt auf drei Dinge achten:

  • Erschaffe ein „Thema“ Das Gesamtkonzept einer Markenerlebniswelt muss gesamtheitlich und stimmig sein – und einem übergeordneten Thema folgen. In den Hard Rock Cafés ist es das Thema „Rock and Roll“ und in der Ritter Sport Bunten Schokowelt in Berlin die Form (Quadrat) und Vielfalt, ausgedrückt in den bunten Farben der Verpackung der Schokolade.
  • Schaffe Multioptionalität Unternehmen sollten dem Besucher eine Vielzahl von unterschiedlichen positiven Attraktionen und Eindrücken bieten, die sich aber zu einem Gesamtbild („Thema“) zusammenfügen und konsistent sind. Pine und Gilmore sprechen hier von sogenannten „positive cues“. Dabei sollte die Abfolge der Einzelerlebnisse einem dramaturgischen Aufbau folgen – ähnlich wie bei der Inszenierung eines Dramas. Diese einzelnen Bestandteile werden sich dann im Kopf des Kunden zu einem konsistenten Bild über die Marke zusammensetzen. In der (mittlerweile geschlossenen) Milka Welt in München war es die Illusion, in einer Almhütte zu sein (mit Blick aus den Fenstern auf die Alpenwelt), mit einer lila (Stoff-) Kuh im Stall, Verkäuferinnen im lila Dirndl (das es auch zu kaufen gab), und Schokolade, die in Milchfässern und Holztrögen präsentiert wird. Wichtig dabei ist auch: unnötige, langweilige oder sogar stressfördernde Eindrücke meiden, die das Erlebnis schmälern oder vom eigentlichen Erlebnis ablenken.
  • Spreche alle Sinne an Eine Markenerlebniswelt sollte eine ganzheitliche multisensuale Ansprache in ihr Erlebnisangebot mit einbeziehen. Bernd Schmitt, Professor an der Columbia University in New York, identifiziert fünf Arten von Markenerlebnissen:
  • Sensorische Erlebnisse (SENSE): Der Einsatz von visuellen, akustischen, olfaktorischen, gustatorischen und haptischen Reizen ist Kern des Erlebnismarketings. Abercrombie & Fitch gelingt es, in seinen Stores mit leichtbekleideten männlichen Models, schwacher Beleuchtung, dröhnender Musik und dem Duft des Parfums „Fierce“ in der Luft (so stark, dass sich Anwohner und Passanten belästigt fühlen) ein spezielles Einkaufserlebnis zu schaffen.
  • Affektive Erlebnisse (FEEL): Innere Gefühle und Emotionen von Kunden werden angesprochen, wie bspw. Genuss, Spaß oder Stolz. Jura schafft in der JURAworld of Coffee in Niederbuchsiten (Schweiz) eine Welt, in der der Kunde in der Kaffee-Lounge mit minimalistischem Design einen Moment der Entspannung und des Genusses erlebt.
  • Kognitive Erlebnisse (THINK): Kognitives Marketing zielt auf den Intellekt des Kunden ab mit dem Ziel, ihm ein spannendes Lernerlebnis zu bieten. Der Besuch des Beck’s Besucherzentrums bringt den Besuchern die Geschichte der Biermarke Beck‘s und in einer zweistündigen Brauereitour das Herstellungsverfahren nahe. Im Anschluss werden mehrere Biere der Marke verköstigt.
  • Physische Erlebnisse (ACT): Physische Erlebnisse sollen dem Kunden neue, alternative Verhaltensweisen, Möglichkeiten oder sogar Lebensstile aufzeigen. Nike bietet im Flagship-Store Nike Chicago (der die meistbesuchte Touristenattraktion in Chicago ist), im Nike+ Training Club täglich Trainingssessions an.
  • Soziale Erlebnisse (RELATE): Die Interaktivität mit Familie, Freunden oder anderen Konsumenten zur Schaffung eines Gemeinschaftsgefühls und positiver Bestätigung steht hier im Vordergrund. Die Harley Owners Group, bei der sich Harley-Fahrer verschiedenster sozialer Schichten zu Motorradtouren verabreden und sich durch Harley- Merchandise als Gruppe identifizieren, ist eine der stärksten Formen des Wir-Gefühls unter Konsumenten.

Erlebnismarketing schafft etwas, was kein anderes Kommunikationsinstrument erreicht: Es lässt den Kunden „mit der Marke verweilen“. Während bei TV-Werbung um die Aufmerksamkeit des Kunden für 30 Sekunden gekämpft wird, verweilen Besucher zwischen rund einer Stunde im Flagship-Store oder bis zu einem Tag in einer Markenerlebniswelt, Zeit, in der die Produkt- und Markenleistungen auf emotionale und nachhaltige Weise vermittelt werden können. Überraschend daher, dass bis jetzt nicht noch mehr Unternehmen Erlebnismarketing in ihre Marketingstrategie als festen Bestandteil integriert haben.

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Autorin(nen) / Autor(en):
Professorin für Internationales Marketing
Hochschule Pforzheim