Kundenorientierung

Kundenorientierung

Vielleicht gähnen Sie bereits, wenn Sie den Titel lesen. Kundenorientierung ist in Unternehmen omnipräsent und in der Forschung vielfach beschrieben. Als Kunden fühlen wir uns aber häufig nicht sympathisch, kompetent und individuell behandelt. Die These: Kundenorientierung bewegt sich in Unternehmen an der Oberfläche.

Die Basis: Unternehmen sind kundenorientiert, wenn sie wirksam und sympathisch mit Kunden kommunizieren, ihre Mitarbeitenden auf Kunden eingehen, die Leistung für den Kunden passt und sie den Kunden mit zukunftsfähigen Lösungen für ihre Bedürfnisse vorausgehen.
Kundenorientierung ist ein klassisches und wichtiges Thema (Reinecke 1998). Grundidee des Marketings ist ja, das Unternehmen auf die Bedürfnisse und den Nutzen des Kunden auszurichten (Weinhold 1984). Offensichtlich bestimmen aber auch die Fähigkeiten der Mitarbeitenden und die Voraussetzungen der Technik eine Rolle, ebenso wie ein Unternehmen organisatorisch aufgestellt ist. Unternehmen orientieren sich nicht nur nach Kunden, sondern auch nach Produktinnovationen und Technik, nach Ländern, nach Kanälen, nach Funktionen des Marketings oder auch nach Aktionären und Analysten. Zwischen diesen Ausrichtungen gibt es Spannungen und es folgen Prioritäten und Kompromisse. Engpässe für den Erfolg der Unternehmen verändern sich. Das Leistungsvermögen des Unternehmens entspricht dabei den Ansprüchen einzelner Kunden oft nicht.
Zudem verlangt das ökonomische Prinzip, dass ein Unternehmen nur so viel für Kunden leistet, wie es nötig ist, um ein Geschäft kurz- und langfristig erfolgreich zu realisieren. Es ist ein verbreitetes Missverständnis, dass Unternehmen alles für den Kunden tun wollen (Belz 2012, S. 19). Weil Unternehmen sich konsequenter auf ihre Erträge fokussieren, scheinen ganze Branchen mehrheitlich Nachteile für Kunden einzuführen.
Auch der Kunde geht zunehmend selektiv vor und sucht nach Leistungen, die seine Prozesse gezielt erleichtern und seinem Bedarf genau entsprechen. Er ist nicht bereit, Überleistungen zu bezahlen. Zudem verhalten sich Kunden nicht konform, sondern stellen je nach Situation andere Anforderungen an das Unternehmen. Von Luxus bis zu Schnäppchen ist alles möglich.
Effiziente Kundenorientierung geht nicht davon aus, ob es „noch etwas mehr für den Kunden sein darf“, sondern konzentriert sich nur auf ergiebige Ansätze für Unternehmen und Kunden. Mindestens wäre es aber erwünscht, dass Unternehmen sich dort am Kunden ausrichten, wo keine Kostensteigerungen folgen. Schlendrian ist häufig für Unternehmen und Kunden ineffizient.
Verbreitet stützen sich Unternehmen auf Umfragen zur Kundenzufriedenheit, um Fortschritte und Rückschläge in der Kundenorientierung zu messen (Elfroth, A./Neckermann, S./Zupancic D. 2006). Leider werden diese Erhebungen häufig zu gleichförmig und generisch durchgeführt und verlieren ihre Wirkung für rasche Verbesserungen. Sie werden langweilig für die Verantwortlichen. Daran ändern auch Appelle an die Kundenbegeisterung nichts. Wichtig wäre es deshalb, zwar zu einem Teil jeweils die gleichen Fragen zu stellen, um Veränderungen im Zeitablauf zu erkennen, aber in einem zusätzlichen Teil bei jeder Erhebung auch spezifische, wichtige und neue Aspekte der Kundenbeurteilung zu vertiefen. Gleichzeitig gilt es auch, die kritischen Ereignisse zu erfassen, die der Kunde in schematischen Befragungen kaum ausdrücken kann.
Ist Kundenorientierung ein Erfolgsprinzip? Grundsätzlich ja, denn Kunden entscheiden darüber, ob es einem Unternehmen gut geht. Kunden können aber auch Sonderleistungen für Produkte oder für die Präsenz in Ländern honorieren. Auch ziehen sie billige Produkte trotz erhöhter Eigenleistung oft vor. Das macht die Antwort vielschichtig.

Kundenvorteile

Maßstab für die Kundenorientierung sind die Vorteile für angestrebte Kunden in der Zusammenarbeit und mit der Leistung des Anbieters. Es geht also um attraktive Kunden, nicht um alle. Und es geht um die Sicht des Kunden.
Abbildung 1 gibt einen Überblick der möglichen Vorteile, besonders für komplexere Angebote (ausführlich Belz/Bieger et al. 2011, S. 90 ff.). Selten ist es ratsam, einen Kunden mit allen Vorteilen gewinnen zu wollen. Segmente, Zielgruppen und besonders einzelne Kunden setzen Schwerpunkte, ebenso wie der Anbieter.
Die Abbildung unterscheidet für jede Kategorie von Vorteilen drei Stufen: Basisvorteile werden vom Kunden vorausgesetzt, sie schaffen nur Unzufriedenheit, falls sie nicht geboten werden. Profilierungsvorteile sind heute für den Kunden besonders wichtig und wirken als Wettbewerbsvorteil. Zukunftsvorteile wirken heute noch vereinzelt oder marginal, werden aber für die zukünftige Zusammenarbeit mit Kunden als wichtig eingeschätzt. Wenn sich im Markt und bei Kunden die Profilierungs- zu Basisvorteilen verschieben, besteht die Hoffnung, dass die Zukunfts- zu Profilierungsvorteilen werden (Rudolph 1997, S. 31).

Kundenprozesse

Manche Führungskräfte gehen immer noch davon aus, dass Kunden vor dem Kaufentscheid alle sachlichen und emotionalen Vorteile und Nachteile für Angebote explizit oder auch intuitiv abwägen und dann im Markt den besten „Saldo“ wählen. Kundenvorteile sind aber nicht statisch. Zum Kauf legen Kunden einen langen Weg zurück, selbst für einfachere Leistungen sind 40 oder 50 Zwischenschritte verbreitet. Auf diesem Weg verschieben sich die Gewichte der Vorteile laufend. Zudem werden diese Kundenprozesse im heutigen Geschehen der Märkte häufig verlängert, verschoben, unterbrochen oder abgebrochen. Jeder Mensch verfolgt viele Interessen und Kaufprozesse parallel. Deshalb wird der Kundenprozess „der Gegenstand von Marketing und Vertrieb“. Der Weg zum Kauf wird wichtiger, als Vor- und Nachteile der Leistung oder eines Unternehmens, die von den Wettbewerbern ähnlich realisiert werden. Es ist für Kunden mühsam, sich zu bewegen. Deshalb gilt es, den Weg zu erleichtern und mehrfach sowie gezielt anzustoßen (umfassend zu Kundenprozessen: Rutschmann/Belz 2014).

Der Weg zum Kauf wird wichtiger, als Vor- und Nachteile der Leistung oder eines Unternehmens, die von den Wettbewerbern ähnlich realisiert werden.

Unternehmen sind kundennah, wenn sie sich mit den realen Kundenprozessen auseinander setzen, sie detailliert erfassen, an den Stellhebeln für weitergeführte oder abgebrochene Prozesse mit geschickten Maßnahmen von Marketing und Vertrieb ansetzen. Das Vorgehen ist konsequent Bottom-up. Kundennähe geschieht dort, wo Kunden sich bewegen; nicht im Schonraum von Konferenzräumen und Büros, wo sich Führungskräfte kundenorientierte Slogans, wirksame Positionierungen oder neue Argumente und Unique Selling Propositions ausdenken.

 

Eingriffstiefe der Kundenorientierung

Kundenorientierung lässt sich kommunizieren. Kundenorientierung lässt sich durch Servicequalität und ein kundennahes Verhalten der Mitarbeiter steigern. Schließlich ist es möglich, die Wertschöpfung für angestrebte Kunden gezielt zu steigern. Abbildung 2 zeigt die Stufen des Eingriffs und eine plausible Unternehmensentwicklung im Zeitablauf.
Zu viele Initiativen von Unternehmen, um sich mehr am Kunden zu orientieren, sind nur oberflächlich. Die Schnittstelle zum Kunden soll für standardisierte Leistungen optimiert werden. Typisch die vielfach ausgelobte Beratungsqualität, wobei der Verkäufer oft nur als „Dünnfilm- Vermittler“ zwischen seinen vielen Kunden und dem Unternehmen funktioniert und keine Wertschöpfung für Kunden erbringt.
Gleichzeitig handelt es sich meistens um flächendeckende Ansätze, beispielsweise sollen sich Personen mit Kundenkontakt gegenüber jedem Kunden freundlich, aufmerksam, motiviert, zuverlässig usw. verhalten (z.B. Belz/Seghezzi (1990)). Diese Ansätze sind wichtig. Unternehmen sind aber erst dann kundenorientiert, wenn ihre Leistungen die Kundenbedürfnisse treffen, wenn das Unternehmen die richtigen Werte für den Kunden schöpft.
Top-down entwickelten sich manche Unternehmen vom generellen Angebot zu differenzierten Leistungen für Segmente und Zielgruppen. Die Segment ierungen funktionieren aber meistens schlechter als erwartet. Denn Kunden kaufen kaum gleichförmig ein, der gleiche Kunde braucht einmal umfassende Unterstützung und intensives Knowhow der Lieferanten und beim nächsten Mal kauft er schlanke Leistungen sehr preisorientiert.
Die Eingriffstiefe der Kundenorientierung wird flankiert durch zwei Initiativen:

  • Erstens ist wichtig, wie Unternehmen mit Kundeninformationen umgehen. Customer-Relationship- Management (oder Systeme) sind ein Teil davon. Solange Unternehmen nicht sorgfältig mit ihren eigenen Kundeninformationen umgehen, wirkt es eher kontraproduktiv, sich über die 360°-Sicht des Kunden oder Big Data auszulassen.
  • Zweitens ist Kundenorientierung ein Change-Prozess, gestützt auf harte Faktoren (wie Strategie, Struktur, Prozesse und Systeme) sowie auf weiche Faktoren (wie Markenführung, Leadership, Mitarbeiterverhalten und Personalarbeit) (umfassend Villiger/Herhausen/Schögel 2013; auch Schögel Herhausen 2011).

Längerfristig wird sich die Wertschöpfung für Kunden steigern, das Ergebnis ist eine Kundenorganisation. Dabei optimieren mehr und mehr Spezialisten im Unternehmen ihre Leistung für Kunden und nicht nach anderen Kriterien.

Fazit

Grundsätzliche Erkenntnisse sind:

  • Kundenorientierung steht in Spannung zu weiteren Ausrichtungen eines Anbieters, wie Controlling, Technik und Produkte, Kanäle und Instrumente, Regionen und Länder. Auch stellen Aktionäre und Kunden (sowie weitere Anspruchsgruppen des Unternehmens) verschiedene Ansprüche. Es gilt, neue Gewichte zu setzen und das Zusammenspiel zu klären. Kundenorientierung wird aber für den Erfolg der Anbieter zunehmend wichtig. Die große Herausforderung ist es, dieses Kräftespiel der Ausrichtungen in der Richtung des Kunden zu verschieben.
  • Unternehmen betreiben zumutbares Marketing, also nur so viel Marketing wie nötig. Kunden beanspruchen je nach Situation verschiedene Leistungen und fordern differenzierte Unterstützung. Dem Kunden zu entsprechen, bedeutet selektiv und differenziert vorzugehen. Segmentierungen führen hier oft zu wenig weit. Spielräume: Kundenorientierung bewegt sich zwischen rigoroser Kostensenkung und Individualisierung für Kunden; Angebote müssen punktgenau sein. Die Devise heißt: kein Ballast und keine unnötige Komplexität.
  • Echte Kundenorientierung erfordert es, die Werte des Unternehmens kundennah zu schöpfen. Kundenvorteile und -prozesse sind der wichtige Zugang. Oberflächliche Bekenntnisse zum Kunden oder breite Ansätze der Servicequalität greifen zu kurz.

Den umfassenden Anspruch zeigt auch Simon (2014, S. 21 ff.) für heimliche Weltmarktführer, weil sie sich besonders kundennah bewegen: Sie stützen sich auf Informationen und Gespür über Markt und Trends und nehmen die Erwartungen der Kunden vorweg. Sie trauen sich ein vertieftes Verständnis zu. Der Anteil ihrer Mitarbeitenden mit Kundenkontakt ist sehr hoch und langjährige Beziehungen zu Kunden werden subtil gepflegt. Die Mitarbeitenden haben breitere Fähigkeiten und Verantwortung. Üblich ist der Direktvertrieb. Lösungen werden intensiv mit Kunden abgestimmt. Und: Marketingspezialisten verhindern die Kundennähe nicht (Belz 2014, 54 ff.).
Leicht lässt sich die Kundenorientierung fordern oder akzeptieren. Das ist doch selbstverständlich. Nur folgt die Herausforderung danach, wenn es gilt, mit Spannungsfeldern im Unternehmen umzugehen und einen konsequenten Weg einzuschlagen.

Institut für Marketing der Universität St. Gallen

Mit rund 28 Mitarbeitenden erforscht das Institut für Marketing der Universität St. Gallen in den Kompetenzzentren die Themen B-to-B-Marketing, Verkaufsmanagement, Dialogmarketing, Messen, Multi-Channel-Management und kooperatives Marketing sowie Marketingperformance (www.ifm.unisg.ch).

Im strategischen Marketing befassen wir uns mit den übergreifenden Themen Innovatives Marketing, Trends/Kundeninformation/Kundenverhalten, Markenführung, Internationales Marketing, Solutionsund Volumengeschäft, Kundenmanagement sowie Marketingführung und -organisation.

Ziel des Institutes ist es, die eigene Forschung und Entwicklung mit führenden Unternehmen und Führungskräften zu verbinden. In allen Bereichen wird der Transfer zudem durch betriebsübergreifende und interne Weiterbildungen sowie die St. Galler Marketing Review (Gabler Verlag) gefördert.

Im Institutsleiterteam wirken mit: Prof. Dr. Christian Belz (Geschäftsführer), Prof. Dr. Sven Reinecke, Prof. Dr. Marcus Schögel, Dr. Walter Herzog, Dr. Michael Reinhold, Dr. Christian Schmitz, Prof. Dr. Dirk Zupancic.

Flankiert werden diese Aktivitäten durch mehrere weitere Institute im Marketingdepartment der Universität St.Gallen. Spezialisten befassen sich in den Instituten für Versicherungswirtschaft, für öffentliche Dienstleistungen und Tourismus und für Banken, für Wirtschaft und Ökologie sowie den Forschungsstellen für Customer Insight und Internationales Handelsmanagement mit Marketing.
Quellen

Belz, Ch. (2014): Das Einzige, was stört, ist der Marketingverantwortliche, in: Index, No. 1, 2014, S. 54–59.

Belz, Ch. (2012): Marketing gegen den Strom, 2. A., Stuttgart: Schaeffer Poeschel.

Belz, Ch./Bieger, T. et al. (2011): Customer Value; 3. Auflage, Landsberg am Lech: Moderne Industrie.

Belz, Ch./Seghezzi, H.D. (1990): Qualitätsmanagement für Dienstleistungen und Services, in: Hauser, H./ Haller, M. et al. (Hrsg.) (1990): Band zur wissenschaftlichen Tagung zur Eröffnung des Bibliothekbaus, St. Gallen: Hochschule, S. 131–178.

Elfroth, A./Neckermann, S./Zupancic, D. (2006): Kundenzufriedenheit – Ein Konzept zur Messung und Verbesserung im Business-to-Business-Geschäft, Düsseldorf: Symposion.

Reinecke, S. et al. (1998): Total Customer Care, St. Gallen/Wien: Thexis/Üeberreuter.

Rudolph, T. (1997): Profilieren mit Methode, Frankfurt/New York: Campus.

Rutschmann, M./Belz, Ch. (2014): Reales Marketing, Stuttgart: Schaeffer-Poeschel.

Schögel, M./Herhausen, D. (2011): Stolpersteine auf dem Weg zum kundenzentrierten Unternehmen, in: marke 41, No. 4, 2011, S. 16–21.

Simon, H. (2014): Kundennähe leben, in: Köhler, R. (Hrsg.): Marketing 2014, 24. Jahrgang, St. Gallen: Kömedia, S. 21-24.

Viliger, A./Herhausen, D./Schögel, M. (2013): Customer

Centricity bei der Graubündner Kantonalbank – Kundenorientierung als Veränderungsprogramm, in: Marketing Review St. Gallen, No. 5, 2013, S. 22–27.

Weinhold, H. (1968): Marketing in 12 Lektionen: Heerbrugg: Verkauf und Marketing.

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Autorin(nen) / Autor(en):
Ordinarius für Marketing des Instituts für Marketing an der Universität St. Gallen
Universität St. Gallen