Premium pur

Premium pur

Was findet wohl eher Gehör beim Strategie-Meeting: die Idee mit dem Label „Noch nie dagewesen“ oder die Empfehlung „Weiter wie bisher“? Die ständige Suche nach dem spektakulär Neuen führt im Marketing zu einer gewissen Geschichtsvergessenheit. Dabei bietet das Gewesene Einsichten, die helfen, Zukünftiges zu gestalten. Das Beispiel Warsteiner zeigt, welche Voraus- setzungen Premium hat.

Die Institutionalisierung des Markenmanage- ments seit den 1980er-Jahren hatte auch ihre Kehrseiten: Mancher zog den falschen Schluss, dass es Positionierungen aus der Retorte gibt. Das zeigte sich beim Run auf das Premium- Segment. Dort vermutete das Management die discoun- tersicheren Margen. Also einfach das Portfolio entspre- chend inszenieren und schon stellt sich die Wertschätzung der Kundschaft ein. 
Dieses Vorgehen ist selbst dann gescheitert, wenn die Produktleistung im engeren Sinne eigent- lich stimmte. In diesem Ansatz fehlt der Respekt für die Lebenswelt der Konsumenten. Dort setzen Mar- ken letztlich auf. Und die Vorstellung, darin nach Belieben und ohne Begründung Wertesysteme zu verschieben, hat mit dazu beigetragen, dass Premi- um für manche Menschen zum Unwort geworden ist, weil sie dahinter eine Mogelpackung vermuten. Wer mag, kann das in den Verbraucherforen im In- ternet verfolgen.
Dabei kennen wir alle Produkte, die mit ihrem An- spruch auf Spitzenleistung die Branche verändern. Aber nicht nur das: Ihr Konsumangebot erweitert die Ausdrucksmöglichkeiten der Gesellschaft und beglei- tet den sozialen Veränderungsprozess. Ein Beispiel aus unserer Dekade: der Telekommunikationssektor ist mit dem iPod ein anderer geworden. Drei Jahrzehnte zuvor hat sich im Getränkesektor etwas ereignet, was zwar nicht die ganze Welt, aber doch den deutschen Bier- markt grundlegend gewandelt hat. Die Brauerei War- steiner begann, ihr Pils explizit als Markenartikel mit Premium-Charakter zu vermarkten.
Das Wort explizit ist hier wichtig. Denn die Vo- raussetzung zur Markierung als „Premium“ gründet in der Geschichte des Produkts. Die Inszenierung war in diesem Sinne keine willkürliche Setzung, sondern eine organische Fortführung bereits vorhan- dener Eigenschaften. 


Im Fall von Warsteiner erklärt sich das Wesen der Marke aus der Tradition und der Verortung im Sauer- land. Die Faszination der Industrialisierung erfasste Ende des 19. Jahrhunderts zwei junge Familienmitglie- der im Hause Cramer, und die machten sich auf, die Produktion der 1753 gegründeten Hausbrauerei zu pro- fessionalisieren. Ein Unternehmensberater würde heu- te wohl abraten, denn das Projekt war mit enormen Investitionen und Mühen verbunden und der Erfolg zunächst noch ungewiss. Denn anders als die Konkur- renz im Ruhrgebiet hatten es die Warsteiner mit den Nöten einer strukturschwachen Region zu tun. Für den Vertrieb der heimischen, regionalen Marke waren schier unüberwindliche Hürden gegeben. Einen An- schluss an das Straßennetz gab es erst seit 1823/1825 und an den Schienenverkehr seit 1884.
Die jungen Leute ließen sich nicht schrecken und eben diese Haltung, sich nicht am Nächstgelegenen zu orientieren, sondern das Gewöhnliche und Ge- wohnte hinter sich zu lassen, wird die Marke später prägen. Zunächst geht die Entwicklung langsam aber stetig vonstatten, soweit es Weltkriege und Wirt- schaftskrise zulassen.
1949 ergibt sich die Chance für kühne Pläne: War- steiner will zu den Großbrauereien mit 100 000 Hekto- litern/Jahr aufschließen. Der Anlass für die Expansionsstrategie war eigentlich ein trauriger: Die starken Kriegsschäden führten zu Ausfällen bei der Konkur- renz in Dortmund.
Der Aufbruch geht einher mit den Anfängen eines dezidierten Markenmanagements. Zur Positionierung greift die Brauerei auf eine Motivik zurück, die sie bereits seit den 1930er-Jahren einsetzte: elegante Frau- engestalten. Diese Hinwendung zur Welt des Feinen stellt einen Bruch dar mit dem angestammten Milieu des Gerstensafts. Bier war bis dahin ein Begleiter der körperlichen Arbeit und gehörte der Sphäre von Staub und Schweiß an. Als Nahrungsmittel stand es auf dem Speiseplan der einfachen Leute. 
Warsteiner hat in Abgrenzung dazu seine Pils- Marke fortschreitend entproletarisiert. Gleich zu Be- ginn der Nachkriegszeit gab es einen Werbeaufsteller, der eine Frau im roten Kostüm eines Hotelpagen zeigt. Ein salonfähiger Auftritt weit entfernt von jedem Knei- penmief. Ähnliches Mitte der 1950er-Jahre: Mit Hüt- chen und Handschuhen lächelt ein distinguiertes Fräuleinwunder den Betrachter an. Sozusagen die Mo- na Lisa der Genusstrinker. Vielleicht nicht ganz von ungefähr erinnert sie an das damalige deutsche Super- model Susanne Erichsen.
Auch in der Verpackung wird es nobler: 1953 führt die Brauerei eine zierliche 0,33-Liter Flasche ein. Die mit dem Kürzel „Lux“ für Luxus apostrophierte Eigen- kreation erhielt erstmals eine Goldkapsel. Solche Zier- de kannte der Verbraucher sonst nur von Sekt oder Champagner. Anders als die 0,5-Liter-Flaschen erhielt die Lux-Flasche auch ein Frontetikett. Ansonsten war es damals üblich, Flaschen nur mit einem Halsetikett auszustatten – viel mehr war nicht zu sehen, wenn sie in einem Holzträger zum Verkauf standen.
Das Frontetikett trägt erstmals das Schriftbild, das bis heute beibehalten ist. Die Worte „Warsteiner“ und „Pilsener“ sind in Fraktur geschrieben, wobei dem „s“ jeweils eine markante Ober- bzw. Unterlänge ge- geben wird. Dieses Motiv rückt ins Zentrum des Lo- gos, das bei der systematischen Neuordnung der Mar- ke 1962 entsteht und zum Fixpunkt des Erscheinungs- bildes wird. Die Worte werden von einer kreisrunden Form eingefasst, die am Scheitel eine Krone ziert. Das Frontetikett, das nun auch bei den Halbliterflaschen Verwendung findet, hat eine elliptische Form. Der Fond ist nicht mehr kräftiggelb sondern bereits un- terwegs in Richtung des nobleren, metallischen gol- denen Charakters.
In den 1960er-Jahren beginnt Warsteiner auch, die Idee des tischfeinen Bieres für die Produktgestaltung und -vermarktung auszubauen. Ein Schritt, der sich deutlich über die soziale Etikette der Zeit hinwegsetzt. In der gehobenen Gastronomie ein Glas Bier zu bestel- len, galt seinerzeit als Fauxpas. 
Ein erster Schritt war im Grunde schon die kleine- re Flasche gewesen. Nun folgte eine Neuinterpretation für das Trinkglas. Es war ein wichtiger Kontakt mit der Welt des Designs. Ende der 1960er-Jahre entwarf der Glasdesigner Hermann Hoffmann eine neue Pils-Tulpe, die nicht wie üblich breit und bauchig ist, sondern schlank und aufstrebend, fast wie ein Sektkelch. Sofort denkbar, sich damit in der Opernpause sehen zu las- sen. Die „Warsteiner-Tulpe“ gehört seither zum Code der Marke.
Bereits bei diesem Projekt engagiert sich Albert Cra- mer als Ideengeber im Gestaltungsprozess. In der Folge wird er sich immer wieder mit den Möglichkeiten des Designs befassen, um die Marke mit besonderer Wertig- keit aufzuladen. So geschehen bei seinem Konzept des Premium-Bieres, mit dem er Ende der 1970er, Anfang der 1980er für neue Akzente in der Branche sorgte.
Die Marke erhielt eine puristischere und design- hafte Anmutung. Zum Start der 1980er, dem Jahrzehnt von Dallas und Denver, von Opulenz und Markenbe- wusstsein, dominiert in der Ausstattung eine reduzierte Gestaltung mit viel Weißraum, wie es bis dato nur von Umverpackungen aus der Welt der teuren Düfte bekannt war. Jetzt endlich bekam das Selbstverständ- nis einen Namen: der Zusatz (bei gleichzeitigem Ver- zicht auf die Sortenbezeichnung Pilsener) „Premium Verum“ wurde ins Etikett aufgenommen – gleichsam als neues, veritables Glaubensbekenntnis.
Die Brauerei intensivierte das soziale Erlebnis der Marke. In Events, durch Sponsoring und im Kontakt mit internationaler Prominenz. Immer bedacht auf Stil und Exklusivität. Das Kraftfeld der Marke erreichte offensichtlich auch Andy Warhol. Er befand ihre Ikone, die Warsteiner Tulpe, offensichtlich „Pop“ genug, um sie 1984 auf einer Siebdruck-Trilogie zu verewigen, die er persönlich ins Sauerland brachte und an die Inha- berfamilie übergab. 
Mit dem Start ins „Premium Verum“-Zeitalter setzt bereits eine Verschiebung in den Inhalten der Positio- nierung „Premium“ ein. Die Eindeutigkeiten der Fahr- stuhl-Gesellschaft aus den Nachkriegsjahrzehnten sind vorbei. Neben ARD und ZDF startet das Privat- fernsehen. In Folge der 1970er-Jahre ist die soziale Ordnung weniger statisch.
Premium war früher eine Auszeichnung, der Kon- sum hieß – ich kann es mir leisten. Seither ist diese Oben-/Unten-Markierung so nicht mehr relevant. Wichtiger ist es, sich mit der Marke einen vielleicht abgehobenen aber vor allem eigenen sozialen Raum zu schaffen. Die Markierung wurde weitergedreht von „fein“ auf „mein“.
Die Voraussetzung von Premium war einmal Fein- heit. Die Vorausetzung von Premium heute ist Dinstin- guiertheit und die Fähigkeit, Identität zu stiften. Dafür braucht die Marke eine Identität. Wo das nicht vorliegt, kann Premium nicht funktionieren. Deswegen ist auch der neueste Markenauftritt von Warsteiner eine ein- deutige Aussage, die eine Aneignung durch ihre Kon- sumenten erst möglich macht. Es ist eine zeitgemäße Interpretation von Purismus. Der Markenauftritt mit der Grundfarbe Schwarz wird ergänzt durch Events, die urbanen Style vermitteln und kulturorientierte Genießer ebenso ansprechen wie erlebnisorientierte Meinungsführer.

Die Design-Geschichte von Warsteiner
 

Bis zum 30. Juni hatte das deutsche verpackungs-museum in Heidelberg in einer ausstellung die designgeschichte von Warsteiner gezeigt. das Begleitheft dazu steht auf der Homepage www.verpackungsmuseum.de als download bereit.