Produkte „mit Geschichte“ verkaufen sich besser

Produkte „mit Geschichte“ verkaufen sich besser

Upcycling Dass Storytelling, also die Vermittlung von Inhalten mittels Geschichten, Menschen anspricht und häufig überzeugt, ist Marketing- Expert/innen längst bekannt. Bislang sieht die Praxis des Storytellings so aus, dass man sich entweder auf Geschichten rund um ganze Marken konzentriert oder Geschichten erzählt, in denen ein Produkt oder eine Marke zumindest vorkommen. Im Idealfall hilft das Produkt in diesen Geschichten Konsument/innen, deren Leben zu verbessern und Probleme zu bewältigen. In nahezu keiner dieser Geschichten ist das Produkt selbst die Hauptfigur.

D ie meisten Produkte, die neu im Regal stehen, haben auch tatsächlich wenig erlebt, um spannende Geschichten erzählen zu können. Doch was, wenn ein Produkt bereits eine dramatische Lebensgeschichte durchlaufen hat? Das kommt durchaus vor. Zum Beispiel bei Produkten, die durch Wiederverwertungsprozesse wie Upcycling und Recycling entstehen. Wiederverwertung kann bedeuten, dass alte Fallschirme zu Taschen, Plastikflaschen zu Yoga-Hosen oder alte Kaffeesäcke zu Hüten werden. Derartige Produkte haben damit eine vielfältige Biografie: Sie haben ein Vorleben und durchliefen eine Transformation von einer alten zu einer neuen Identität. Transformationsbiografien sind guter Stoff für Geschichten. Menschen sind seit jeher fasziniert von Geschichten, in denen jemand eine alte Identität hinter sich lässt und eine neue annimmt. Man denke an Aschenputtel, Ovids Metamorphose oder Superhelden wir Batman und Spiderwoman. Und genaue diese Geschichten können Marketingexpertinnen und -experten für sich nutzen, wie unsere aktuelle Studie zeigt.

Wiederverwerteter Müll versus Produkt mit Besonderheit

Was, wenn man Menschen daran erinnert, dass auch wiederverwertete Produkte eine derartige Geschichte erzählen können? Steigert oder senkt es sogar die Nachfrage? Theoretisch scheint beides möglich. Auf der einen Seite ist die alte Identität wiederverwerteter Produkte alles andere als glamourös. Sie erinnert Menschen daran, dass das, was sie konsumieren, eigentlich einmal Müll war und bereits von anderen verwendet wurde. Tatsächlich gibt es eine Kund/innengruppe, die sich vehement gegen alles, was nicht brandneu ist, verwehrt. Auf der anderen Seite ist der Hinweis auf die alte Identität der Schlüssel zur einzigartigen Geschichte des Produkts, die das Produkt besonders machen kann. Man weiß aus der Forschung, dass der Besitz besonderer Dinge Menschen erlaubt, sich auch selbst besonders zu fühlen.
In drei Feldexperimenten, vier kontrollierten Experimenten und mehreren Replikationsstudien wollten wir wissen, was passiert, wenn man die alte Identität verschiedenster wiederverwerteter Produkte auch nur subtil hervorhebt. Die Ergebnisse waren eindeutig: In den meisten Fällen erhöhte sich die Nachfrage signifikant. In einem Pop-up-Upcycling- Store vervierfachten sich die Umsätze sogar, nachdem Hinweise auf die alten Identitäten der Produkte eingeführt wurden.

Ein simpler Vorher-Nachher- Hinweis ist ausreichend, um zu verstehen, dass sich eine Transformationsgeschichte abgespielt hat.

Dabei war es gar nicht notwendig, die biografische Geschichte eines Produktes tatsächlich zu erzählen. Der menschliche Geist ist darauf ausgelegt, Geschichten zu verstehen, und wir erkennen eine Geschichte, auch wenn diese nicht vollständig erzählt wird. Ein simpler Vorher-Nachher-Hinweis ist ausreichend, um zu verstehen, dass sich eine Transformationsgeschichte abgespielt hat. In unseren Studien erwiesen sich selbst ein kleines Bild der alten Identität (sogar ein Bild von Plastikmüll) oder der Hinweis „up-gecycled aus xxx“ als ausreichend, um in den Köpfen der Konsument/innen kurz die Geschichte des Produktes wachzurufen und sie erkennen zu lassen, dass sie sich selbst mit diesem Produkt besonders fühlen könnten. Die Konsequenz: eine insgesamt höhere Nachfrage.
Selbst wenn die alte Produktidentität vor der Wiederverwertung Ekel auslöste, z.B. ein ungustiöses Bild eines gebrauchten Moskitonetzes aus den Tropen, sank die Nachfrage im Vergleich zum Fehlen eines Hinweises auf die alte Identität nicht, auch wenn sich in diesem Fall kein statistisch signifikanter Vorteil nachweisen ließ. Diese Erkenntnisse heben eine vielversprechende neue Facette des Storytellings hervor. Bei der Wiederverwertung von Altprodukten entstehen Geschichten, die Kund/innen mit minimalem Kommunikationsaufwand selbst ableiten.

 

Entstehungsgeschichte eines gänzlich neuen Produktes ist zu wenig

Ein Fall, in dem der Kommunikationsaufwand gänzlich entfallen kann, sind Upcycling-Produkte, die noch offensichtliche Spuren ihrer Vergangenheit tragen, wie zum Beispiel Vasen aus nach wie vor gut erkenntlichen alten Glühbirnen. Hier ist es nicht notwendig, extra zu erwähnen, dass die Vase einst eine Glühbirne war. Das Produkt erzählt seine Geschichte selbst und weitere Absatzsteigerungen sind nur dann möglich, wenn man die Dramaturgie dieser Geschichte noch stärker hervorhebt und den Fokus zuerst auf die Vergangenheit und dann auf die Gegenwart des Produktes legt. Wichtig anzumerken ist auch, dass diese neue Art des Storytellings wirklich nur bei wiederverwerteten Produkten, die eine Transformation durchlaufen haben funktioniert.

Gutes Tun und den Planeten schützen“ ist ein Grundtenor in Strategien zur Vermarktung wiederverwerteter Produkte.

Gänzlich neuen Produkten, die aus Rohmaterialien entstanden sind, mangelt es an einer starken vergangenen Identität und sie profitieren nicht pauschal von einem Hinweis auf deren Rohmaterialien. Diese Erkenntnisse bieten damit vor allem neue Vermarktungsmöglichkeiten für den immer wichtiger werdenden Markt für Upcycling- und Recyclingprodukte.

 

Umweltaspekt nachranging

Dieser Markt wird zurzeit vor allem mit Umweltargumenten bearbeitet. „Gutes Tun und den Planeten schützen“ ist ein Grundtenor in Strategien zur Vermarktung wiederverwerteter Produkte. Und tatsächlich könnte auch der Hinweis auf das Vorleben eines wiederverwerteten Produktes in dieselbe Kerbe schlagen. Schließlich weckt er nicht nur dessen Geschichte, er macht auch deutlich, dass es sich um ein Produkt handelt, das hilft, Müll zu verringern. Ist es also wirklich das Potenzial als Held seiner eigenen Geschichte oder nicht viel mehr der damit deutlich werdende Umweltaspekt, der die Nachfrage steigert, wenn Menschen an die alte Identität eines wiederverwerteten Produktes erinnert werden? Auch dieser Frage sind wir nachgegangen. Misst man beide möglichen Prozesse und testet, welcher der beiden besser in der Lage ist, Veränderungen in der Nachfrage zu erklären, so stellt man fest, dass das Gefühl von Besonderheit durch die Produktgeschichte deutlich über Umweltaspekte triumphiert. Auch wenn der Hinweis auf die alte Identität die wahrgenommene Umweltfreundlichkeit der Produkte steigern kann, so war es doch immer die Besonderheit der Produkte, die die Nachfrage erhöhte. In manchen Studien hatte die wahrgenommene Umweltfreundlichkeit gar keinen Effekt auf die Nachfrage. Produktgeschichten und ein Hinweis auf das Besondere können damit schaffen, was Umweltargumente oft nicht schaffen.

Autorin(nen) / Autor(en):
Institutsvorständin, stv. Departmentvorständin
Institute for Marketing & Consumer Research, Wirtschaftsuniversität Wien