Zielgruppengerecht kommunizieren: Gleich und gleich gesellt sich gern

Zielgruppengerecht kommunizieren: Gleich und gleich gesellt sich gern

Kennen Sie diese Situation? Sonntagmorgen, 10 Uhr: Familienausflug zu einer drei Autostunden entfernten historischen Senfmühle in ländlicher Gegend. Zwei sich unbekannte Damen mittleren Alters blicken einander während der Führung fragend an und begutachten das Oberteil der jeweils anderen – die gleiche rosafarbene Bluse mit unverwechselbaren perlmuttschimmernden Knöpfen und weißen Längsstreifen. Fast jeder hat den leicht beschämenden Moment eines modischen Doppel gängers schon einmal an der eigenen Haut erleben müssen – modischer Massenproduktion in breiter Distribution sei Dank.

Samstagabend, 21 Uhr: Szeneviertel einer Großstadt. Meine Bekannte wird spontan vor ihrer Haustüre von einem neuen Nachbarn zur Einweihungsfeier einer Kreativagentur nebenan eingeladen. Ich komme kurzerhand mit. Fünf Minuten später kommt es zu einer überraschenden Begegnung: „Ach, sind Sie nicht …? Sie haben doch neulich einen Workshop auf dem Kongress … gehalten? Ich arbeite auch im Bereich multisensorische Markenführung und das ist mein Kollege ...“ Wie es der Zufall so will, sind nicht nur beide im Branding beruflich verwurzelt, nein: Vielmehr las ich des einen Buch und studierte an des anderen Universität, die 250 km westlich liegt.
Freitagabend, 23 Uhr: Zu Besuch in der entfernten Heimatstadt auf dem 30. Geburtstag einer Schulfreundin. Ein mir Unbekannter, dessen Stil mich unmittelbar an einen Kollegen in München erinnert, betritt den Balkon. Wir kommen miteinander ins Gespräch. „Wo arbeitest du?“ „München, bei ...“ „Nein, tatsächlich, Mensch, kennst du XY?“ „Ja, der ist mein direkter Kollege.“ „Ach, er ist einer meiner besten Freunde, seit vielen Jahren.“
Solche Überraschungen ließen sich noch ewig fortführen. Sie kennen sie sicherlich auch nur zu gut.
Alte Bekannte, die sich am anderen Ende der Welt unvermittelt über den Weg laufen. Menschen mit irgendeiner Art von Gemeinsamkeit, seien es gleiche Interessen, Freunde oder Modegeschmäcker, die sich unerwartet begegnen. Bekanntschaften, Netzwerke und zwischenmenschliche Beziehungen, die auf verrückteste Weise wieder zusammenlaufen.
Der Psychologe Stanley Milgram postulierte schon 1967, dass in der Regel jeder jeden auf der Welt über sechs Ecken kennt (kleine-Welt-Phänomen) – lange bevor dies in Analysen mit riesigen Datenmengen der Digital-Social- Networks Bestätigung fand (Leskovec & Horvitz, 2007). Doch ob man diese über sechs Ecken-„Bekannte“ jemals trifft, wird mit deren Emotionalität zusammenhängen. Menschen mit ähnlichen emotionalen Wertegerüsten haben tendenziell eine höhere Wahrscheinlichkeit, aufeinander zu treffen.
Zufall oder nicht? Einen Marketeer sollte dies jedenfalls nicht überraschen. Es sind erhöhte Zielgruppenwahrscheinlichkeiten. Gleich und gleich gesellt sich (meist) gerne, eine altbekannte Weisheit. Gegensätze, die sich anziehen, sind meist nur eine kurze Abwechslung und selten von Dauer (Buss, 1985). Dies ist nicht nur aus der Paar- und Ehepaar-, sondern auch aus der Freundschaftsforschung geläufig (Baron & Byrne, 2003). Emotional ähnliche Menschen bewegen sich in der Regel auch in ähnlichen Kreisen, haben ähnliche Einstellungen und Verhaltensweisen (Wahl der Einkaufsstätten, Markenaffinitäten, Hobbies und Reiseländerpräferenzen etc.) und sogar ähnliche Bewegungsmuster im Alltag, um nur ein paar Kriterien, die einen gemeinsamen Lebensstil ausmachen, zu benennen. Mit erhöhten Wahrscheinlichkeiten wohnen sogar Typen mit gleichem oder nahe stehendem Emotionsschwerpunkt in denselben Straßenzügen, Gemeinden und Städten (microm Limbic®Types).
Menschen lassen sich in sieben Limbic®Types aufgrund ihrer Wertesysteme nach Häusel (2010) einteilen: die statusbewussten Performer (8 Prozent), die auf reine Funktionalität bedachten Disziplinierten (11 Prozent), die konservativen Traditionalisten (20 Prozent), die familienfokussierten Harmoniser (30 Prozent), die Genuss suchenden Offenen (13 Prozent), die erlebnissüchtigen Hedonisten (13 Prozent) und die grenzensprengenden Abenteurer (5 Prozent) (angegebene prozentuale Verteilung bezieht sich auf die deutsche Bevölkerung). Die beschriebene Konsumenten-Typologie stammt aus dem neuropsychologischen Emotions-Gesamtmodell Limbic® (Häusel, 2004), welches hauptsächlich auf Erkenntnissen der Gehirnforschung und weiteren akademischen Disziplinen wie der Soziologie, Neurologie, Psychiatrie und der Evolutionsbiologie basiert. Das jeweils beherrschende Emotionssystem einer Person (Balance, Stimulanz oder Dominanz) ist bei der Zuordnung zu einem der sieben Konsumenten- Typen entscheidend. Hier zeigt sich, dass jeder Type durch eine differenzierende Grundemotionalität und Weltsicht charakterisierbar ist. Die Limbic®Types werden in einer der größten deutschen Markt-Media- Studien (Typologie der Wünsche, IMUK GmbH & Co. KG) jährlich erfasst und lassen sich so statistisch beschreiben. In Workshops werden die fixierten Zielgruppen den involvierten Marketeers lebendig vermittelt, in Zielgruppenhandbüchern prototypisch beschrieben und somit zum Leben erweckt (Ansprechpartnerin: Gruppe Nymphenburg Consult AG, Elena Haller).
Hat man die Limbic®Types-Verteilung seiner Kunden erhoben, daraus ableitend die passende(n) Zielgruppe(n) mit ihren Interessen und Vorlieben fixiert sowie deren bewusste und unbewusste Konsummotive erforscht, so kann man sie strategisch ansprechen: Mit eine Types-spezifischen Text- und Bildwelt beispielsweise bei Katalogen, Mailings oder Newslettern. Man versendet an die jeweilige Zielgruppe den Köder, der ihr mit der höchsten Wahrscheinlichkeit am besten schmeckt. Möglich gemacht wird dies durch den modernen Ansatz des Micromarketings, bei dem anonymisierte Kundenadressdatensätze angereichert werden. Über mathematische Algorithmen lässt sich berechnen, welcher Limbic®Type bei einem Kunden am wahrscheinlichsten ist (Ansprechpartnerin: microm Micromarketing- Systeme und Consult GmbH, Claudia Rasche).
Deshalb lassen sich Situationen wie folgende vermeiden: Montagmorgen, 9 Uhr: Eine 90-jährige Kundenkartenbesitzerin findet im Briefkasten ein hedonistisches Trend-Magazin mit den „Keylooks der Saison“ aus dem Young-Fashion-Bereich ihres Stamm-Kaufhauses. Der Kleidungsstil dieser Traditionalistin ist eigentlich klassisch konservativ und Englischkenntnisse besitzt sie aufgrund der Schulbildung der 30er-Jahre keine. Das ist entweder ein Fall zur Weitergabe an die Enkelin oder den Mülleimer.
Mittwochmittag, 15 Uhr: Maschendrahtzaunstreit in ländlicher Idylle. Zwei Nachbarn diskutieren lauthals über den Ast eines Baumes, der in den Garten des anderen ragt. Wie man sich das im Micromarketing erklärt? Es treffen ähnlich disziplinierte Parteien eines Wohngebiets mit einem hohen Anteil an Ordnungs- und Ritualliebe aufeinander und beharren starrsinnig auf ihrer Meinung.
Donnerstagabend, 23 Uhr: Laute Musik auf einer Studentenparty in einer Altstadt-WG. Die Nachbarn rufen die Polizei aufgrund von Lärmbelästigung. Mit hoher Wahrscheinlichkeit liegt die Ursache hierfür im Aufeinanderprallen von Generationen und letztlich auch unterschiedlicher Limbic®Types, bedingt durch den demografischen Wandel innerhalb eines Wohngebietes. Ältere Menschen weisen tendenziell eine höhere Ausprägung im Bereich Balance auf als jüngere Menschen, die eher im Bereich Stimulanz anzusiedeln sind. Das Stresshormon Cortisol hat bei Älteren einen höheren Spiegel als bei Jüngeren, die Stimulanz suchen und bei lautem Rambazamba über eine vermehrte Ausschüttung des Neurotransmitters Dopamin ein Belohnungsgefühl erleben.
Was Sie noch mit auf Ihren Weg nehmen können: Die Welt ist letztlich nur deshalb ein (gefühltes) Dorf, weil der Radius, in dem sich ein jeder bewegt, egal wo er hingeht, sich mit dem seines Limbic®Types mit hoher Wahrscheinlichkeit überschneidet. Wer eine wirklich andere Welt kennen lernen will als die, die er bisher erlebt hat, müsste Muster seiner eigenen Einstellungsund Verhaltensweisen durchbrechen, auch wenn er sich an einem Ort der Erde befindet, an dem er vorher noch nie war. Dies gilt auch für vermeintliche Sensation-Seeker, die hauptsächlich dem Limbic®Type Abenteurer zuzuordnen sind und immer Neues ausprobieren wollen. Wer stets in exotische Subkulturen abtaucht und dies auch bei Reisen in die Ferne tut, wird auch dort mit ähnlichen Menschen in Berührung kommen, nämlich den einheimischen Abenteurern des Reiselands.
Auch so verkehrt man letztlich wieder in Kreisen mit ähnlichen Wertesystemen, die nur kulturbedingte Einfärbungsunterschiede bei den Gewohnheiten und Normen aufweisen. So wird beispielsweise eine Traditionalistin in Deutschland gerne eine selbst gemachte Pizza im Ofen backen, eine in den USA eher die tiefgekühlte Fertigpizza in der Mikrowelle erhitzen. Durch die zunehmende Globalisierung und Vereinheitlichung des Konsumangebotes gehen die beschriebenen kulturbedingten Konsumunterschiede zurück. Generell sind auf der ganzen Welt bei allen Menschen die gleichen Emotionssysteme zu finden, der Unterschied besteht nur in der Verteilung der Limbic®Types. Beispielsweise gibt es in den USA, verglichen mit der deutschen Verteilung, ca. zwölf Prozent mehr Hedonisten, Abenteurer und Performer, gleichzeitig aber zum gleichen Anteil weniger Harmoniser, Traditionalisten und Disziplinierte (Häusel, 2010). Die USA als Land der Einwanderer beheimatet mehr Menschen mit hohem Stimulanz- und Dominanzbedürfnis, da es einer explorativen und risikofreudigen Persönlichkeit bedurfte, um das Abenteuer eines unbekannten Landes einzugehen (Häusel, 2001).

Die Welt ist ein (gefühltes) Dorf, weil der Radius, in dem sich ein jeder bewegt, egal wo er hingeht, sich mit dem alten mit hoher Wahrscheinlichkeit überschneidet.

Gehören Sie zu den Offenen? Dann gehen Sie doch bei Ihrer nächsten Reise mal beabsichtigt in ein außergewöhnliches Café statt in Ihre Lieblingskette, die Sie auf der ganzen Welt finden. Oder sind Sie Performer? Dann besuchen Sie doch anstelle eines Gourmet-Sterne-Restaurants die bäuerliche Taverne. Neue Menschen wahrnehmen und kennen lernen, verhilft zu Verständnis gegenüber anderen, eröffnet neue Perspektiven, begünstigt Reflektion und erweitert den Horizont. Vor allem aber ermöglicht es, die Limbic®Types in der Praxis, neben einer theoretischen Vermittlung, noch besser zu verstehen und deren „Sprache“ schrittweise und unterstützt anzuwenden. Lernen Sie die hohe Kunst der zielgruppengerechten Kommunikation!

LITERATURVERZEICHNIS:

Baron, R. A. & Byrne, D. (2003).Social Psychology (10thed.). Boston, MA: Allyn & Bacon.
Buss, D. M. (1985). Human mate selection: Opposites are sometimes said to attract, but in fact we are likely to marry someone who is similar to us in almost every variable. American Scientist, 73 (1), 47–51.
Häusel, H. G. (2001). Think Limbic! – Die Macht des Unbewussten verstehen und nutzen für Motivation, Marketing, Management. Freiburg: Haufe.
Häusel, H.G. (2004). Brain View – Warum Kunden kaufen. Freiburg: Haufe.
Häusel, H.G. (2010). Emotional Boosting – Die hohe Kunst der Kaufverführung. Freiburg: Haufe.
J. Leskovec & E. Horvitz (2007). Planetary-Scale Views on an Instant-Messaging Network. Microsoft Research Technical Report MSR-TR-2006-186,1–28.
Milgram, S. (1967). The small-world phenomenon. Psychology Today, 1 (1), 61–67.

Autorin(nen) / Autor(en):
Diplom-Psychologin, Consultant
Gruppe Nymphenburg Consult AG